Wunderheiler ins Kabinett

In Agentinien wird ausgerechnet der Politiker, der für die hohe Verschuldung verantwortlich ist, wieder ins Kabinett geholt und wahrscheinlich gleich dessen Chef

BUENOS AIRES taz ■ Argentiniens Präsident Fernando De la Rúa gibt seinen Landsleuten Rätsel auf. Am Wochenende drehte sich alles um die Frage, ob De la Rúa den ehemaligen Wirtschaftsminister Domingo Cavallo zu seinem neuen Kabinettschef ernennen wird. Sämtliche Zeitungen, Fernsehsender und Radiostationen wollen dies schon erfahren haben. In einer dreiminütigen Fernsehansprache kündigte De la Rúa am Sonntagabend zwar die Bildung einer „Regierung der nationalen Einheit“ an, hütete sich aber, auch nur ein Wort zu Personalentscheidungen zu sagen.

Kurz vor De la Rúas Ansprache hatte Cavallo breit grinsend den Pärsidentenwohnsitz in Olivos verlassen, ließ aber nur wissen, dass er bereit sei, bei De la Rúas Plan einer solchen Regierung „mitzumachen.“ In welcher Position, das ließ auch er offen.

Nach Ankündigung eines radikalen Sparplans hatten am Freitag drei linksorientierte Minister das Kabinett verlassen und die Gewerkschaften für morgen zum Streik aufgerufen.

De la Rúa tappt schon seit einiger Zeit von Krise zu Krise. Jetzt will er das Parlament um Sondervollmachten bitten, um einen Ausweg zu finden. Anfang 2000 hatte er mit einer Bündnisregierung die Amtsgeschäfte übernommen. Seine Allianz aus dem Mitte-links-Block Frepaso und der bürgerlichen UCR versprach eine Regierung des sozialen Ausgleichs. Doch seit seinem Amtsantritt hat De la Rúa im Viermonatsrhythmus immer wieder neue Sparprogramme verkünden müssen, weil er das Land von seinem Vorgänger Carlos Menem mit leeren Kassen übernommen hatte.

Dabei war es gerade der jetzt von De la Rúa ins Kabinett berufene und wahrscheinlich zum Kabinettschef gekürte Domingo Cavallo, der die Staatspleite mit zu verantworten hat. Denn 1991 wurde mit dem nach ihm benannten Plan Cavallo der argentinische Peso an den Dollar gekoppelt. Dies beseitigte zwar die Inflation in Argentinien, doch das orthodox neoliberale Wirtschaftsprogramm ließ die Auslandsverschuldung des Landes in nur neun Jahren auf das Doppelte ansteigen. Heute steht Argentinien bei ausländischen Finanzinstitutionen mit über 220 Milliarden Dollar in der Kreide.

Trotzdem galt Cavallo als die Geheimwaffe und die letzte Chance De la Rúas. Seit 1998 steckt Argentinien in einer Rezession, und weder sein Vorgänger Menem noch De la Rúa selbst hat das Wachstum wieder aktivieren können. Da unter dem Wirtschaftsminister Cavallo Investitionen ins Land kamen, erhofft man sich von ihm die Wiederbelebung der Wirtschaft. Er ist auch der Traumkandidat der internationalen Anleger, die in ihm so etwas wie einen Wunderheiler und Garanten dafür sehen, dass Argentinien seine überbewertete Währung nicht abstürzen lässt.

Cavallos Eintritt in die Regierung De la Rúa bedeutet einen klaren Rechtsrutsch. Denn mit den drei Ministern verließen am Freitag die letzten fortschrittlichen Köpfe das Kabinett. Allen Wählern De la Rúas, die sich von ihm eine gerechtere Verteilung des Reichtums versprochen hatten, muss es wie Verrat vorkommen, dass ausgerechnet Cavallo jetzt offenbar neuer Kabinettschef wird. INGO MALCHER