Wenn der Leser ganz benommen wird

■ Angst vor dem eventuell vergeudeten Leben: Elisabeth Rynell und Richard Swartz aus Schweden lesen im Literaturhaus aus zwei kontrastreichen Romanen

Inna ist zwei und glatzköpfig. Sie wird drei, die Haare wachsen doch noch – silbern. Als Inna sechzehn wird, stirbt ihre Mutter Hilma, und der Vater sagt: „Du bist jetzt Hilma.“ So lebt Inna im nördlichsten Schweden in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Einzige Gesellschaft auf dem Hof: der gewalttätige Vater und die Tiere. Dann taucht Aron in der Einöde auf. Es ist ein Bund zwischen zwei Einsamen. Etwa fünfzig Jahre später liegt Inna tot vor ihrem Haus im Schnee. Dort findet sie eine Frau, die versucht, den plötzlichen Tod ihres Mannes zu verkraften. Die ist gleichzeitig die Ich-Erzählerin des poetischen Romans Schneeland der Schwedin Elisabeth Rynell, aus dem die Autorin heute liest.

In ihrem „Schneeland“ vor der gewaltigen Bergkulisse Lapplands lässt Rynell die tragischen Schicksale der beiden Frauen zusammenlaufen. Sie komponiert durch Zeit- und Perspektivenwechsel zwei scheinbare Parallelhandlungen, die jedoch etliche Schnittstellen aufweisen: So verlieren beide Frauen ihre einzige große Liebe, beide finden Trost in der rauen Landschaft. Ihr Aufeinandertreffen in Innas Räumen heilt die Ich-Erzählerin und entlässt sie am Schluss wieder in ihr Leben.

Äusserlich konstrastreich kommt Ein Haus in Istrien des schwedischen Journalisten, Osteuropakorrespondenten und zweiten Autors des Abends, Richard Swartz, daher. Bindeglied ist jedoch das Haus, das hier mit seinen Zimmern unweigerlich zum Symbol des Ichs wird. Nach seinen vielbeachteten, reportageartigen Geschichten Room Service, gelingt Swartz in seinem ersten Roman nun das treffsichere, ironische Porträt einer Dorfgemeinschaft mit ihren Verschrobenheiten.

In der kroatischen Ortschaft Pelegrin leiden Swartz' Figuren unter der spätsommerlichen Hitze und der Angst vor ihrem vergeudeten Leben. Der Schweiß treibt wahnwitzige Vorstellungen durch jede Pore, und mindestens durch jede zweite Zeile quillt flirrende Luft. Konturen verschwimmen, mehr und mehr sieht sich der benommene Leser absurden Gesprächen ausgesetzt. Und dreht einer mal nicht wegen der Sonne durch, ist bestimmt der „fette Mond von Istrien“ schuld. Als die entsetzlich altruistische Ich-Erzählerin und ihr vom leerstehenden Nachbarhaus besessener Mann „Schatz“ es endlich kaufen dürfen, zieht trotzdem nur ein vorübergehender Friede ein: Wenn alles hämisch lacht, entspannt es schließlich wenig, dass der Mond einmal nicht scheint.

Liv Heidbüchel

heute, 18 Uhr, Literaturhaus