Suche nach Echtheit

Figuren mit Konzernnamen: Douglas Coupland liest heute und morgen aus seinem neuen Roman „Miss Wyoming“  ■ Von Christiane Müller-Lobeck

Mal ehrlich: Douglas Couplands Generation X zu lesen hat doch nur deshalb Spaß gemacht, weil es so hübsch gestaltet war und das Glossar am Rand der Seiten den einen oder anderen lustigen Begriff prägte, von denen sich allerdings nur die Bezeichnung „McJobs“ für die schlechtbezahlten und unsicheren Dienstleistungsjobs gehalten hat.

Der Roman löste, als er 1991 auf Deutsch erschien, hierzulande ein unglaubliches Gackern und Sich-Aufplustern in den Feuilletons aus, und da war es besser, das Buch zu kennen. Im Grunde zielten nämlich sowohl die konservativen Klagen über den Zustand der „Generation“ der Twentysomethings als auch die Fanbekundungen aus der Popkultur, die hier einmal ihre beschissenen Lebensumstände auf den Punkt gebracht sah, am Text vorbei.

Der ironische Ton in Generation X hinterließ nach der Lektüre eine eigentümliche Leere, die dann jeder und jede für sich füllen konnte. Gegen die Klage über den Zustand der Jugend, wie er aus dem Roman herausgelesen wurde, konnte man einerseits mit Coupland einwenden, dass ihr angesichts der Verhältnisse kaum etwas anderes übrig bleibt. Aus der Ironie, mit der ihr Talk aufgezeichnet worden war, sprach aber andererseits tatsächlich eine Verachtung Couplands für die folgenlosen politischen Lamentos und Oberflächlichkeiten dieser Jugend. Es liegt im Wesen der Ironie, dass sich der Autor am Ende nicht positionieren muss, dass sie auf einen im Schwinden begriffenen Konsens setzt über das, was „eigentlich“ gesagt und für gut befunden wird. Diese Defensivität machte Generation X dann selbst zu einem folgenlosen Lamento.

Inzwischen hat Coupland die Verachtung für seine Figuren abgelegt: Er positioniert sich. Sein seit kurzem auf Deutsch erhältlicher Roman Miss Wyoming spielt in Hollywood. Zwar sind seine Schilderungen aus dem Business, in dem es noch heute stärker als anderswo um Selbstdarstellung und Sichverkaufen geht, nicht frei von Ironie. Aber diesmal hat Coupland zwei Personen eingeführt, die er zu lieben scheint: Sie bringen sich im Wortsinn zum Verschwinden, weil sie all die Verlogenheiten ihres Selbst nicht ertragen und den Kampf um Aufrichtigkeit und eine selbstgewählte Identität wirklich ernst meinen.

Susan Colgate, als Jugendliche Miss Wyoming und mit 28 schon ein abgehalfterter Filmstar, überlebt als einzige einen Flugzeugabsturz. Sie verlässt die Unglücksstelle ungesehen, und da sie als tot gilt, kann sie endlich mal ein Leben fern der Öffentlichkeit führen. Ein Jahr lang versteckt sie sich bei Liebhabern, lebt so vor sich hin und bekommt schließlich ein Kind. Geldnot und Hass auf ihre Mutter lassen sie jedoch nach Los Angeles zurückkehren, als diese von der Fluggesellschaft eine große Entschädigungssumme für Susans Tod erhält.

Kaum zurück, trifft sie auf den Filmproduzenten John Johnson. Auch er hat einmal sein Leben verlassen, als Obdachloser zog er mehrere Monate lang unerkannt durch die Staaten, auch er auf der Flucht vor den Scheinheiligkeiten seines bisherigen Daseins. Die kurze Begegnung der beiden steht am Beginn des Romans, in fast mathematisch angeordneten Rückblenden lässt Coupland dann seine LeserInnen teilhaben an ihrer Vergangenheit und an den Lebensgeschichten weiterer Personen, die ausnahmslos mindestens einmal ihr Leben radikal zu ändern versucht haben. Und Susan verschwindet ein weiteres Mal, während John sie verzweifelt sucht, bis sie sich am Ende endlich in die Arme fallen und ihre Liebe beteuern.

Man kann – wie Tom Holert in der Zeitschrift Literaturen (2/01) – Miss Wyoming als Fortsetzung von Couplands Auseinandersetzung mit neuen Arbeitsformen und den schnellen Identitätswechseln, die sie erfordern, begreifen. Die Ernsthaftigkeit, mit der Coupland hier seine Figuren nach Echtheit suchen und diese dann schlussendlich in der Kleinfamilie finden lässt, spricht aber eine andere Sprache: die einer melancholischen Rücckehr, die als Authentizität bloß verkauft wird. Denn der Ort, an den sie führt, ist immer schon sozial konstruiert gewesen.

heute, 22 Uhr, Malersaal (Collagen von Coupland im Foyer) + morgen, 21 Uhr, Mojo

Douglas Coupland: Miss Wyoming, 336 S., 39,90 Mark