Besessener Tüftler

Bühnenphilosoph und Querdenker Jo Fabian mit der Choreografie The Dark Side of Time auf Kampnagel  ■ Von Irmela Kästner

Er ist ein Bilderschwärmer. Einer, der es liebt, Zeichen und Botschaften zu verschlüsseln und damit selbst die Kenner seiner Kunst schelmisch auf falsche Fährten zu locken. Ein Verführer ist er, ein besessener Tüftler und gewitzter Querdenker, der seinem Ruf als Bühnenphilosoph stets aufs Neue gerecht wird.

Der Berliner Choreograf und Regisseur Jo Fabian ist nach nur einem Jahr wieder in Hamburg zu Gast. Bei der Tanzplattform Deutschland 2000 hatte er mit der Tanzinstallation LightHouse kontroverse Aufmerksamkeit erregt. Nun stellt er am 22. und 24. März auf Kampnagel sein neuestes Stück The Dark Side of Time vor, das er aus den Mitteln des „Deutschen Produzentenpreises für Choreographie“ realisiert hat, an dessen Vergabe sich auch die Kulturfabrik beteiligt.

Ein langer Abend ist es geworden. In drei Bildern umkreist er die Erinnerung und das Vergessen, erzählt von banalsten Kindheitsepisoden, die in kühnem Schwung an große Geschichte(n) anknüpfen. Dann sitzen da zwei Männer am Esstisch, prosten einander zu, führen die Gabel zum Mund, während wie von Geisterhand die Stühle unter ihnen weggezogen werden und sie trotzdem in Sitzposition verharren.

Hoch oben auf der Mauer haben drei Frauen Posten bezogen und legen die Sturmgewehre an. Ihre Häupter krönen Schiffe und andere Zeichen für den Lauf der Welt im Wechsel von Macht und Untergang. Die Imagination des Theaters und der allegorische Blick auf Geschichte verschmelzen in einem Tableau. Minimal sind die Aktionen in dieser Szene, und doch scheinen Jahrhunderte vorbeizurasen. Jo Fabian sprach einmal von einem „Theater des Verschwindens“. Das Verschwinden von Zeit zum Beispiel, die sich auch hier wieder in einer surrealen Bild- und Soundwelt zu reiner Poesie verdichtet. Getanzt wird vor allem im ersten und im dritten Bild.

Zur Entwicklung einer eigenen Tanzsprache hat Fabian das Tanzalphabet „Alphasystem“ erfunden, das er nach Grundlagenforschungen in Blown Away und LightHouse jetzt in The Dark Side of Time weiter ausbaut. Jedem Buchstaben ist darin eine Bewegungssequenz zugeordnet, mehrere Sequenzen ergeben ein Wort. Das System versteht Fabian als methodisches Mittel. „Denk- und nicht stilprägend“, sagt er.

Ursprünglich studierte der heute 40-Jährige Schauspiel in Rostock und begann bereits Mitte der 80er eigene Stücke an Stadttheatern in der damaligen DDR zu inszenieren. Prägend war für ihn seine Zeit am Bauhaus in Dessau kurz vor der Wende. Und auch nach der Wende ging es, spätestens mit der Einladung von Whiskey & Flags 1993 zum Berliner Theatertreffen, mit seiner Karriere weiter bergauf.

Ein Erfolg jedoch, der Fabian überaus suspekt war. Damals sei ihm klar geworden, sagt er, dass es für ihn nur darum gehen kann, konsequent für das Theater zu forschen und zu experimentieren und sich nicht auf einem Intendantenposten auszuruhen. So blieb er unabhängig, widmet sich der Entwicklung seiner Gesamtkunst aus Tanz, Sprache, Musik, Bühne, Licht. Für sein neues Stück hat er sogar eigene Songs geschrieben. Studieren kann man sein Werk nun auch auf der gerade erschienenen CD-ROM no fish, no cheese.

Nach der Gruppe „Neuer Tanz“ und dem Choreografen Rui Horta wurde an Jo Fabian der mit 250 000 Mark dotierte „Deutsche Produzentenpreis für Choreographie“ zum dritten Mal verliehen. Ein Verbund von Tanzproduzenten, zu dem bislang auch Kampnagel und das Internationale Sommertheater Festival gehörten, entscheidet über die Vergabe. Die designierte Kampnagelchefin Gordana Vnuk hat aber bereits ihren Ausstieg aus dem Subventionszirkel mit Tournee zu allen beteiligten Produzentenhäusern erklärt. Die 30 000 Mark sieht sie in eigenen Projekten innovativer angelegt. Raimund Hoghe, der soeben den vierten Produzentenpreis erhielt, wird mit seinem choreografischen Theater demnach in Hamburg wohl nicht zu sehen sein.

Donnerstag + Sonnabend, 20 Uhr, Kampnagel