vorlauf: Endstation damals
Filmreihen wie „Die Vertriebenen – Hitlers letzte Opfer“ sammeln allein dadurch Pluspunkte, dass sie von der notwendigen Erinnerung an die Greuel des Dritten Reichs das Verfallsdatum abkratzen. Mit der dreiteiligen Dokumentation soll der Stein, den Guido Knopp ins Rollen gebracht hat, in den letzten Tagen des Krieges ankommen.
In Teil 2 der Trilogie, „Vertreibung“ (ARD, 21.45 Uhr, Teil 3 „Neubeginn“, morgen 21.45 Uhr), wird aus dem bürokratisch-euphemistischen „Bevölkerungstransfer“ der Geschichtsbücher das, was es war: die „größte Menschenverschiebung der Geschichte“. 1,5 Millionen Polen und 12 Millionen Deutsche wurden nach Beschluss der Siegermächte Richtung Westen umgesiedelt. In Interviews quälen sich Zeitzeugen mit der schmerzhaften Erinnerung an den Geruch der ausgebrannten Häuser Breslaus, an die Radiodurchsagen des Prager Rundfunks: „Fangt sie! Tötet sie!“, an die kranken Großeltern, die auf dem Flüchtlingsmarsch zurückgelassen werden mussten. Schließlich an die Internierung in Theresienstadt, eine Maßnahme der einstigen Opfer und späteren Sieger des Kriegs, die in ihrer Paradoxie symptomatisch ist für Drang nach Vergeltung.
Christian Frey versucht durch Rückblenden eine Brücke zu schlagen und stellt vor dem Krieg und nach dem Krieg in direkten Zusammenhang. Erklärungsversuche von Rache in schonungslosen Bildern. Im Umkehrschluss begibt sich der Autor dadurch in Gefahr, die Verbrechen der Nazis in der Wahrnehmung des Zuschauers mit anderen gleichzusetzen. Und dem selbst auferlegten Prinzip, beide Seiten zu Wort kommen zu lassen, hinterherzulaufen. Trotz aufwändiger Recherche und einer Fülle von Details muss die Dokumentation daran durch die Fokussierung auf das Leid deutscher Flüchtlinge scheitern. Sie sind es, deren Schicksal in düsteren Bildern nachgezeichnet wird. Die andere Seite wird in punkto Interviewauswahl, Rollenzuweisung und Gewichtung stiefmütterlich behandelt. Ein legitimer Emanzipationsversuch vom Joch der jüngeren deutschen Geschichte, der seinen eigenen Anspruch jedoch nicht erfüllen kann. Und der dadurch eine Gratwanderung am Rande des braunen Fettnapfs vollführt.
SABRINA EBITSCH
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