Big Brother kommt aus Maryland

Computerprogramme zur Identifizierung von Gesichtern werden immer perfekter. In einem Großversuch konnten US-Polizisten bereits mit Hilfe einer Erkennungs-Software aus einer Menschenansammlung zahlreiche gesuchte Kriminelle herausfischen

von LARS PETER TRECHOW

Als Ende Januar die Baltimore Ravens beim Super Bowl in Tampa im US-Bundesstaat Florida die New York Giants niederrangen, ahnten die 75.000 Zuschauer im Stadion nicht, dass hinter den Kulissen eine Orwell’sche Fahndungsaktion lief. Vor Spielbeginn hatte die Polizei mit fest installierten Videokameras die einströmenden Massen an allen Eingängen abgefilmt. Diese Aufnahmen wurden während des Spiels mit einigen tausend Fotos aus lokalen und staatlichen Verbrecherkarteien abgeglichen. 19 Kleinkriminelle wurden erkannt und nach dem Spiel von Polizisten aus der Menge gefischt. Den Abgleich erledigte ein Computer. Wofür sonst hunderte Polizisten Tage gebraucht hätten, benötigte die Gesichtserkennungs-Software der Firma Viisage Technologies kaum die Dauer eines Footballmatches.

Viisage ist ein kommerzieller Ableger desMassachusetts Institute of Technologie (MIT). Wissenschaftler des MIT hatten schon Anfang der 90er-Jahre Software entwickelt, die Gesichter erkennen und unterscheiden konnte. Vor acht Jahren begann das US Verteidigungsministerium die Forschung mit Mitteln aus Antidrogenprogrammen zu fördern und legte das „Face Recognition Technologie“ (FERET) Programm auf. Außer den Forschern vom MIT gab es an US- Universitäten ein gutes Dutzend Wissenschaftlerteams, die ähnliche Software entwickelten. Um sie zu koordinieren, erstellte FERET eine verbindliche Foto- und Videodatenbank. Sie diente künftig als Datengrundlage von jährlich stattfindenden Wettbewerben, bei denen jeweils die beste Software ermittelt wurde.

Mängel, die bei den Wettbewerben in Maryland auftauchten, wurden von den an FERET beteiligten Forschern systematisch beseitigt. Jahr für Jahr verbesserten sie die Programme, die anfangs das richtige Gesicht aus 316 Fotos filtern mussten, später aus über 14.000. Auch in Videos mit wechselnden Lichtverhältnissen und vor bewegten Hintergründen erkannten die Systeme schließlich Gesichter. Brillen und Bärte hinderten sie daran ebenso wenig, wie die Ähnlichkeit eineiiger Zwillinge. 1997 war die Software gut genug, um sie zu vermarkten. Der kommerzielle Wettbewerb löste einen weiteren Entwicklungsschub aus. Die Forschungsbedingungen verbesserten sich durch private Investitionen. Die Geldgeber können hohe Renditen erwarten, denn die Software hat beste Aussichten, sich auf dem Wachstumsmarkt um biometrische Identifikationssysteme durchzusetzen.

Die Gesichterkennungs-Software wird bereits von Militär, Nasa oder Banken eingesetzt, um Hochsicherheitsbereiche vor unberechtigtem Zutritt zu schützen. Auch Spielcasinos, die in den USA den Spielbetrieb per Video aufzeichnen müssen, nutzen die Software, die sowohl VIPs als auch unerwünschte Gäste frühzeitig erkennt.

Die Software basiert auf mathematischen Gesichtsvergleichen. Zunächst wird auf Grundlage möglichst vieler Gesichter ein „Eigengesicht“ ermittelt. Die Gesichtsmerkmale dieses Gesichtsprototyps erkennt die Software als variierende Grautöne, etwa Augenbrauen, Augenabstand oder Nasenspitze. Die Maße und Ausdehnung der Grautöne werden in Algorythmen berechnet, aus denen eine Matrix erwächst. Für die Software ist diese Matrix im Fall des Eigengesichts der typische Code eines Gesichts. Wird nun ein Bild eingegeben, sucht das System nach diesem und sehr ähnlichen Codes. Wird es fündig, dient die Matrix des Prototyps als Rechengrundlage, um Gesichter zu unterscheiden. Die gesammelten Abweichungen speichert die Software als den Code eines neuen Gesichts. Jedes Gesicht, das die Software erkennt, wird mit der gleichen Methode analysiert. Beim Super Bowl hat das System 75.000 Matrizen mit einigen tausend vorher Abgespeicherten verglichen.

Dadurch, dass sie nur die Differenz vom Eigengesicht analysiert, ist die Software extrem schnell. Außerdem wird zunächst nur grob verglichen. Kommt es schon dabei zu Abweichungen, obwohl das ganze Gesicht erkennbar ist, stoppt das Programm den Vorgang und springt zum nächsten Gesicht. Beim Super Bowl benötigte die von Viisage entwickelte Software eine Millisekunde pro Gesichtsabgleich.