Kampf mit dem Bambus

■ Ihr Instrument ist nicht das Begehrteste, dafür ist sie darauf die Beste, weltweit. Klarinettistin Sabine Meyer gastiert mit der Deutschen Kammerphilharmonie

taz: 1994 spielten Sie auf dem Bremer Musikfest Benny Goodman. Sind auch Ihnen die Grenzen der Klassik zu eng geworden?

Sabine Meyer: Mein Vater war Klarinettist in einer der ersten deutschen Bigbands. Also lagen bei uns zuhause meist Jazzscheiben auf dem Plattenspieler. Trotzdem war die Klarinettenausbildung von meinem Bruder und mir ausschließlich klassisch. Da Benny Goodman aber seinerseits ein Grenzgänger war und zum Beispiel das berühmte Mozartkonzert einspielte – welcher Klarinettist will das nicht unbedingt? –, spukte uns das Projekt „Hommage to Benny Goodman“ durch den Kopf. Zumal Goodman maßgebliche Klarinettenkonzerte für klassisches Sinfonieorchesterin Auftrag gegeben hat – bei Hindemith, Copland, Malcolm Arnold. Die standen damals in Bremen auf dem Programm, zusammen mit Konzerten für Klarinette und Bigband von Strawinsky und Bernstein. Von Goodman selber haben wir nur wenig gespielt, denn als Klassikmusikerin macht man sich irgendwie unglaubwürdig, wenn man auf allzu fremden Terrain wildert.

Warum? Ist denn der Unterschied so groß?

Es stimmt ja keineswegs, dass man solche Dinge einfach im Blut hat. Jazz ist genauso harte Übungssache wie die Klassik. Allein schon das harmonische Wissen, das nötig ist, um sich entspannt in eine Inprovisation hineinzustürzen.

Ein Wynton Marsalis traut sich durchaus den Sprung vom Jazz zur Klassik.

Einer der wenigen, die das können.

Fällt ihnen zu Vanessa Mae etwas ein?

Musikalisch muss man über dieses Thema eher nicht reden. Marktstrategisch ist es vielleicht ein interessantes Phänomen. Das aber was wir machen, empfinde ich dann doch als seriöser. Wir haben etwa ein weiteres grenzüberschreitendes Projekt mit dem Jazzklarinettisten Eddie Daniels gemacht. Der versteht es hervorragend hin- und herzuspringen. Da wurde viel improvisiert, aber eben auch Mozart gespielt.

Gibt es denn Unterschiede im Tonansatz?

Ein bisschen im Ansatz, ein biss-chen im Material. Die Holzblättchen sind im Jazz andere; etwa um Glissandi in Grenzbereichen zu ermöglichen.

Wo sitzt eigentlich der himmlische Ton – in den Lippen, im Zwerchfell?

Das ist nicht viel anders als im Gesang, eine Sache des ganzen Körpers, bis hinunter zum großen Zeh. Die Obertöne müssen frei schwingen, und zwar in jeder Lautstärke. Wenn ein Piano mit der Lippe abgedrückt wird, trägt es nicht mehr bis in die letzte Zuschauerreihe. Und das Forte darf nicht losbrüllen, als sei's erzwungen. Überhaupt will ich wegkommen vom MACHEN des Klangs. Der Zuhörer muss schon wissen was kommt, bevor er den Ton hört, allein aufgrund des Einschwingvorgangs.

Helfen Tonleiterübungen beim Finden dieses perfekten Tons?

(lacht) Das schadet nie. Es ist aber auch eine Frage der Blätter. Das ist lebendiges Material, mit dem man zusammenlebt, das seinen eigenen Willen hat. Das ist Bambus aus Südfrankreich, der unterschiedlich gelagert ist, unterschiedlich schnell getrocknet ist; und manchmal ist es eine Heidenarbeit das passende Material zu finden. Da denkst du: gutes Blatt – und dann bricht es nach einem einzigen Konzert zusammen. Es reagiert auf das Klima, es merkt, wenn du reist – eine Wissenschaft für sich.

Kann ein falsches Blatt ein Konzert zerstören?

Die Katastrophe für einen Geiger ist das Reißen der Saite, die Katastrophe eines Klarinettisten ist das Spalten des Blattes. Das ist mir aber noch nicht passiert.

Beneiden sie in heimlichen Augenblicken Anne Sophie Mutter oder Ivo Pogorelich um ihre Instrumente, um die damit erreichbaren CD-Verkaufszahlen und Gagen?

Ich finde, die Klarinette hat es schon ziemlich weit gebracht. Allerdings beneide ich Geiger und Pianisten um ihr Repertoire.

Welche Komponisten haben für sie Stücke geschrieben?

Zum Beispiel Denissow, Aribert Reimann, Hosokawa.

Früher mal gab es weniger Frauen in den Orchestern und am Solistenpult. Heute noch ein Thema?

Klares Nein. Bei meiner letzten Klarinetten-Aufnahmeprüfung an der Lübecker Hochschule für Musik waren zwei Drittel Mädchen.

Das Programm am Donnerstag?

Das Weber-Concertino ist eines der schönsten und wichtigsten Stücke, die Weber für den Bermann geschrieben hat. Es ist ein kurzes, einsätziges Stück mit Variationen, das alles behinhaltet: Eingangscantilene, Dramatik, ein bisschen Oper – und dann kommt der grandiose Schlussspurt.

Die Stamitz-Konzerte habe ich wieder zum Leben erweckt. Das sind sehr frühe Beispiele für klassisches Solokonzert. Entsprechend sparsam sind sie notiert. Heute wirkt das langweilig. Deshalb waren diese Konzerte jahrzehntelang verbannt aus den Konzertsälen. Doch schon damals gab es eine Praxis des Improvisierens, was die Verzierungen anbelangt. Und das nutze ich aus. Schließlich wissen wir heute ungefähr, wie die Verzierungspraxis damals aussah, zum Beispiel durch Niederschriften, die Mozart für unbegabte Schülerinnen anfertigte. Und je öfter ich das spiele, desto mehr gönne ich mir jene Freiheit der Spontanität, die früher ganz selbstverständlich war.

Kein zeitgenössisches Stück?

Leider nicht. Das liegt aber nur daran, dass es am Donnerstag keinen Dirigenten gibt. Mit ihren Polyrhythmen und Taktwechseln ist die Moderne ganz einfach angewiesen auf die ordnende Hand.

Lebende Komponisten und Klarinette?

Sandor Veresch schreibt FÜR die Klarinette, Isang Yun dagegen. In seinem wunderbaren Konzert wird öfters mal auf die Bassklarinette übergewechselt, und die spielt niemals in ihrer schönsten Lage. Sie quietscht im viergestrichenen Bereich. Das ist wahnsinnig mühsam und man fragt sich: um Gottes Willen WARUM? – und liebt es doch außerordentlich. Elektronische Musik finde ich spannend, doch der enorme Aufwand mit dem Equipment – Lautsprechern, Mischpult – ist leider oft im Konzertalltag nicht zu bewältigen. Ein rein praktisches Problem.

Fragen: Barbara Kern

Donnerstag, 29.3., 20h, Glocke. Programm: Stamitz „3. Klarinet-tenkonzert“, Weber „Concertino für Klarinette“, Bartok „Divertimento“, Haydn „Sinfonie Nr.44“

Und oh Wunder: es gibt noch KARTEN, weil es ein „Sonderkonzert“ der Kammerphilharmonie istTel.: 321919