Heimliche Gesellen

■ Die Bremer Böhnhasen machen sich dafür stark, dass die Meisterpflicht fällt / Existenz in einer Grauzone, in der Tricksen zum Handwerk gehört

Bönhasen, B., auch Böhnhase, in Niederdeutschland verbreitete Bezeichnung für nicht zur Zunft gehörige Handwerker. ... Von Bön = niederdt. Dachstube und nach den Katzen, den „Dachhasen“, die sich auf den Böden versteckten, erhielten die nicht zünftigen Handwerker, die oft heimlich arbeiten mußten, den Spottnamen. (Br. Lexikon)

Die mittelalterlichen Zünfte gibt es nicht mehr, die modernen Böhnhasen jedoch schaffen immer noch im Verborgenen. Es sind Handwerker und Handwerkerinnen, die selbstständig arbeiten wollen, ohne sich dabei der Meisterpflicht zu unterwerfen – und offiziell als Schwarzarbeiter abgestempelt werden. Die Meisterprüfung ist nach wie vor die Eintrittskarte zum deutschen Handwerk, einem „streng geregelten, vom Wettbewerb weithin abgeschotteten Markt, umzäunt von der Zwangsmitgliedschaft in den Kammern und von der Zutrittsschranke des so genannten Großen Befähigungsnachweises“ (FAZ). Das klingt gefährlich, und deswegen haben sich in Bremen und umzu zwischen 25 und 40 Böhnhasen – ihre genaue Zahl ist nicht bekannt – zusammengetan, um diese Schranken niederzureißen. Ihre Devise: „Wir haben uns die Gewerbefreiheit hinter die Löffel geschrieben!“

Schließlich mache die Übung den Meister, nicht die Prüfung, argumentiert einer der im „Berufsverband unabhängiger Handwerkerinnen und Handwerker“ (BUH) organisierten Böhnhasen, ein 35-jähriger selbstständiger Dachde-cker. Er hat sich, wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen, beruflich in einer Gesetzeslücke eingerichtet, um überhaupt arbeiten zu können: Er ist als „Reisegewerbler“ tätig, zieht im Bremer Umland von Haus zu Haus, und schaut sich die Dächer an. Sieht eines so aus, als ob es einen Dachdecker nötig hätte, klingelt er beim Besitzer an. Werbung ist verboten, Aufträge, die nicht an der Haustür erteilt wurden, darf er nicht annehmen.

Trotzdem zahle er Steuern wie jeder andere auch, er sei versichert und Mitglied einer Berufsgenossenschaft, so der 35-Jährige, der unbedingt „sein eigener Chef sein wollte.“ Die – etliche zehntausend Mark teure und äußerst zeitaufwendige – Meisterprüfung hält er in erster Linie für ein Instrument, um die Konkurrenz zu regulieren, weniger die Qualität des Handwerks. Auch die Ausbildung würde in Wirklichkeit doch von den Gesellen übernommen, und nicht von den Meistern. Trotzdem müssten Böhnhasen mit der Angst leben, dass ihnen eines Tages das Handwerk „gelegt“ wird.

Zu Recht, würde der Hauptgeschäftsführer der Bremer Handwerkskammer, Hans Meyer-Heye, dazu wohl sagen. Schließlich gebe es heutzutage keine Böhnhasen mehr. Sondern nur noch „Schwarzarbeiter“, und die seien eine Belastung für das Sozialsystem. Meyer-Heye, dessen Kammer rund 5.000 Mitglieder betreut, hält die Meisterprüfung nach wie vor für sinnvoll. „Da kann doch jeder kommen und sagen, er sei kompetent“, sagt er und verweist darauf, dass im Handwerk nur halb so viel Neugründungen scheitern würden wie in anderen Wirtschaftsbereichen. Für ihn ein Beleg dafür, dass die Meisterschule stimmt.

Er habe auch nicht den Eindruck, dass viele Existenzgründungen durch die Meisterpflicht behindert würden, so der Kammer-Geschäftsführer. Überdies: Es gebe Ausnahmeregelungen, die in Bremen „liberal gehandhabt“ würden – was die Böhnhasen bestreiten. 30 der insgesamt 300 Gründungen pro Jahr würden genau auf diesem Wege zustandekommen, erklärt Meyer-Heye – zum Beispiel, wenn sich ein Industriemetallbauer in „leitender Stellung“ eine Existenz als Selbständiger aufbauen wolle.

Für den Buchautor Michael Wörle („Selbständig ohne Meisterbrief“), den Gottvater aller Böhnhasen, ist das lange nicht genug. Er verlangt, die Schwelle möglichst weit abzusenken, um den Betroffenen bessere Existenzmöglichkeiten zu schaffen. Das Ziel heißt Gewerbefreiheit – die es in Deutschland übrigens weit mehr als hundert Jahre lang gegeben hat. Jeder Mensch hatte im 19. Jahrhundert das Recht, einen Handwerksbetrieb zu eröffnen. Erst 1935 hoben die Nationalsozialisten die Gewerbefreiheit wieder auf, um die Handwerkerschaft an sich zu binden. Und: Die Nazis schufen den „Großen Befähigungsnachweis“ – die Meisterprüfung. Für Wörle wäre es heute ein Kompromiss, die Meisterprüfung über viele Jahre, in denen bereits selbstständig gearbeitet werden kann, zu strecken („Lernende Meister“). Für die Kammer, die Nachteile für die Lehrlingsausbildung erwartet, ganz verkehrt.

So müssen die Bremer Böhnhasen, zu denen viele Baugewerbler gehören, aber auch Schneiderinnen, Töpfer oder KFZ-Fachleute, vermutlich noch lange weiter tricksen. Zum Beispiel, indem sie sich „Keramikkünstler“ nennen, und eben nicht Töpfer. Oder sie werden zu „Gebrauchtwarenhändlern“, die dann im „unerheblichen Nebenbetrieb“ die Kfz ihrer Kunden reparieren. Ein Zehntel der Mitgliederbeiträge, die der BUH einnimmt, geht in den verbandseigenen Rechtshilfefonds. Dieser macht sich ebenfalls dafür stark, dass die Meisterpflicht fällt – und damit auch die Benachteiligung von Frauen im Handwerk. Der Verband setzt darauf, dass eine Öffnung des Handwerks Arbeitsplätze schafft, mehr Steuern und Sozialabgaben bringt. Denn die gegenwärtige Situation des Handwerks ist aus Sicht des BUH paradox: „Der Befähigte ist nicht befugt“, heißt es, und „der Befugte nicht befähigt.“ Das finden die Böhnhasen auch. hase

Die Bremer Böhnhasen treffen sich jeden ersten Freitag im Monat um 20.15 Uhr im Lagerhaus-Café.