Prediger des Neotraditionalismus

Der US-Architekt Andres Duany durfte bei den Architekturgesprächen des Senatsbaudirektors für Städtebau im Stil des „New Urbanism“ werben. Widerspruch gab es wenig. Auch Duanys Baupläne für das Tacheles-Gelände wurden kaum diskutiert

von TINA VEIHELMANN

Andres Duany redet wie ein Staubsaugervertreter, der nicht einen, sondern zehn Staubsauger zu verkaufen hat. Der amerikanische Architekt und Städtebauer war am Montagabend Gast bei den Architekturgesprächen des Senatsbaudirektors. Hans Stimmann hatte den Stararchitekten eingeladen, weil der auf der Freifläche hinter dem Tacheles ein neues Retortenviertel im Stil des „New Urbanism“ plant. Und da man in Berlin auch gerne Debatten über Urbanität führt, sollte die Diskussion den amerikanischen Urbanismus auf seine „Anwendbarkeit in Europa hin überprüfen“.

Der New Urbanism, in den USA seit den Achtzigerjahren auf dem Vormarsch, ist bei Akademikern aber als neotradtionalistischer Kulissenzauber verpönt. Den US-Urbanisten geht es eigentlich um Städtebau, wie sie immer wieder betonen, um eine Besinnung auf klassische Stadtgrundrisse. Tatsächlich aber wirken die meisten Siedlungen seltsam anheimelnd.

Zu schnell sei man in Europa mit der Polemik bei der Hand, eröffnete der Architektursoziologe Harald Bodenschatz das Feld. Der New Urbanism sei als Reformbewegung ernst zu nehmen, streitbar zwar, aber diskussionswürdig. In den USA habe man begonnen, „Stadt zu denken“ und in diesem Zuge respektable Werte formuliert: Kampf gegen die Zersiedlung, soziale Durchmischung, Stärkung von Communitywerten. Nicht immer erreichten die Bauprojekte die hochgesteckten Ziele, aber man diskutiere ständig darüber: Politiker und Investoren verständigten sich mit Stadtplanern und sogar mit Umwelt- und Sozialaktivisten, eine bewundernswerte Streitkultur.

Doch aus Streitkultur wurde an diesem Abend nichts. Duany überraschte sein Publikum, indem er jede Diskussion umging und das Podium für einen furiosen Auftritt nutzte. Selbst ein TV-Prediger wäre vor Neid erblasst. Nur eine Erklärung, warum Berlin New Urbanism brauche, gab er nicht. Dass er ein großer Bewunderer der Berliner Baukunst sei, demonstrierte Duany mittels Dias von Gründerzeitbauten, die er in Videoclipgeschwindigkeit auf die Leinwand projizieren ließ, begleitet von immer dem selben begeisterten Ausruf: „Couldn’t be better!“

Dem hiesigen urbanen Städtebau sei eigentlich nichts mehr hinzuzufügen, meint Duany, dennoch wolle er am Tacheles neotraditionell bauen. Dieser Stil sei zwar nicht das eigentliche Prinzip des New Urbanism, jedoch sei Neotraditionalismus Demokratie, denn er komme auf dem Markt gut an. Man solle sich dem mutigen Projekt öffnen und abwarten, bis es fertig sei, das Ergebnis werde wunderbar sein.

Die Rollen auf dem Podium waren klar verteilt: Duany predigte, Tacheles-Investor Anno-August Jagdfeld nickte, Architekt Javier Cencicacelava, ein Freund Duanys, lobte den New Urbanism, Historismusvater Rob Krier wetterte gegen die Moderne und Rainer Haubrich, Architekturredakteur bei der Welt und Autor des Buches „Traditionelle Architektur in Berlin“, stärkte die konservative Architekturposition.

Nur Harald Bodenschatz vertrat die akademische Vernunft und kritisierte verhalten, was in den Jubelhymnen unterging. Fazit: Es gab keine Diskussion, weder über den New Urbanism noch darüber, ob man ihn in Europa oder gar am Tacheles braucht. Obwohl sich der New Urbanism nach eigener Ideologie immer auf den vorhandenen Ort beziehen sollte, erwähnte Duany die Geschichte des Tacheles mit keinem Wort. Erst die Bauhistorikerin Simone Hain fragte danach kurz vor Ende der Debatte. Die Spuren der Geschichte vergingen eben wie alles, konterte Duany.