Glitzerwolga vor Gebirgslandschaft

Für Frauen ist der Eintritt frei, und am Sonntag gibt es einen Frühschoppen: In der Lichtenberger Diskothek Kalinka tanzt man am liebsten zu russischem Pop, und kommuniziert wird fast nur auf Russisch. Ein Besuch in Berlins authentischster Russendisko

von MATTHIAS ECHTERHAGEN

„Kalinka“ ist der Name einer russischen Diskothek in Lichtenberg, kurz vor Marzahn. Das Gebäude, in dem sich die Disko befindet, ist typisch für die DDR-Zeit: einer jener zweistöckigen Flachbauten mit weit gezogenen Fensterflächen, wie sie oft zwischen Plattenbauten, kleinem Spazierareal und Durchfahrtstraße hineingepfropft wurden.

Am hellichten Tag sieht es nicht danach aus, als hätte hier jemand in den letzten Jahren einen Fuß reingesetzt. Die Fenster des Kalinka sind verhangen und verbrettert, darüber hängt ein aus der Mode geratener Schriftzug: Restaurant, Bar. Durch die gesprungene Eingangstür erkennt man verblichene Filmplakate, auf denen Männer mit Maschinengewehren ihre Muskeln spielen lassen.

Doch die Disko ist tatsächlich in Betrieb, seit zwei Jahren schon. Zu DDR-Zeiten, als hier noch keine Disko stand, sondern eine „Klubgaststätte“, löffelten Schüler an diesem Ort ihre Suppe aus, die ihnen aus großen Alu-Kübeln für 55 Pfennig pro Nase verabreicht wurde. „Schulspeisung“ nannte sich das. Heute tanzen in denselben Räumen russischsprachige Jugendliche zu russischem Pop, und sonntags, dem Ruhetag der Diskonomaden, treffen sich im Kalinka deren Eltern zum Frühschoppen.

Zwischen 22 und 23 Uhr tauchen die ersten Diskobesucher auf. Frauen brauchen keinen Eintritt zu bezahlen, Männer aber schon. Alle geben an der Garderobe ihre Oberbekleidung ab. Eine ältere, auf einem Holzstuhl sitzende Frau händigt dafür Karten mit Nummern aus. Auf die Notwendigkeit dieser Vorsichtsmaßnahme wird am Eingang noch einmal zweisprachig hingewiesen, auf Russisch und auf Deutsch. Sicherheitshalber checken zwei Security-Leute, die zum Kalinka-Personal gehören, einige Männer auch ohne Jacken mit Metallsensoren durch.

Der erste Saal des Kalinka ist eigentlich zum Durchgehen gedacht. Denn dahinter wartet schon die Tanzfläche mit Musik. Bevor die freigegeben wird, sitzt man hier an Tischen und unterhält sich, Gruppe für Gruppe, ganz wenige sitzen für sich alleine. Man spricht Russisch. An einem Tisch in der Mitte flechten vier Russinnen in ihre Konversation auch mal deutsche Vokabeln ein, wie „Deutschlehrer“ und „Deutsch lernen“. Bald sind alle im Tanzsaal verschwunden.

Hier läuft sie dann, die ganze russische Popmusik, die im Sommer in Russlands Städten von den Häuserwänden widerhallt. Ein gnadenlos durchgehaltener four-to-the-floor-beat, darüber tändeln eingängige Synthie-Melodien. In den Texten geht es um Liebe und die Traurigkeit des Verlassenseins.

Die Ersten, die die Tanzfläche bevölkern, sind Frauen in sehr kurzen Kleidern. Die Männer, einige durchweg in Schwarz, andere in Netzhemd und Armeehose, verhalten sich eher reserviert, lassen sich zum Tanzen auffordern und trinken Wodka. Manche sind schon sehr betrunken. „80 Prozent Aussiedler, 10 Prozent Deutsche, der Rest aus aller Herren Länder“, so teilt sich für Jevgeni Fritkin, dem Diskothekenbesitzer, die Kalinka-Stammbesetzung auf. Tatsächlich gibt es hier kaum jemanden, der nicht Russisch spricht. Ganz anders als in den „Russendiskos“ in Berlin-Mitte, wo man alle möglichen Leute treffen kann, nur keine Russen.

Das Blaulicht der Polizei hätte oft in den letzten zwei Jahren vor dem Kalinka geflackert, gesteht Fritkin, doch in der letzten Zeit sei es ruhiger geworden. Man achte darauf, dass alles friedlich verläuft. Überhaupt, die Polizisten, sie denken nur an das eine: an die russische Mafia. Mit der könne er leider nicht dienen.

Am Wochenende dreht sich im Kalinka die Diskokugel, bis es hell wird. An den Wänden hängen Fantasiebilder in Lila und Schwarz, auf denen Glitzersteinflüsse Gebirgslandschaften durchziehen. Irgendwann, wenn die Musik lauter wird und die Tanzfläche voller, lösen sich die vielen Gruppen auf und gehen in ein tanzendes Gemenge über.

Schräg gegenüber vom Eingang des Kalinka steht ein weiteres Gebäude aus DDR-Zeiten, zweistöckig und mit einer Treppe, die von außen nach oben führt. Ein so genannter „Dienstleistungswürfel“, in dem es vom Friseur zum Elektronikhändler, vom Musiklädchen zum Supermarkt alles und jeden gab. Wo früher unten einer der Eingänge war, ist jetzt ein Gitter befestigt. Dahinter stehen und liegen verbrauchte Dinge: ein aufgerissener Stuhl, die zerschlissenen Einzelteile eines Büroschranks usw.

Im zweiten Stock des ehemaligen Dienstleistungswürfels befindet sich jetzt der Jugendclub „Linse“. Ralf, der hier öfter HipHop-Abende organisiert, rät ab von einem Besuch in der Diskothek Kalinka. Oft hätte es unter den Russen Schlägereien gegeben; die seien ja eh schnell betrunken. Von hier oben hätte man den Schlägereien zusehen können.