Keine Ruh' an Muhles Park

■ In Oberneuland hat sich eine Bürgerinitiative gegründet, um die Pläne, direkt neben Muhles Park mehrere hundert Wohnungen zu bauen, abzuwehren / Workshop zur Zukunft des Stadtteils geplant

Sechs gelbe Topfpflanzen, gleiche Sorte, gleicher Abstand, dahinter das, was künftig nicht mehr sein soll: Thomas Bergmann, 67, steht am Panoramafenster seines Hauses Oberneulander Landstraße 61c und blickt über die Felder und Wiesen östlich von Höpkens Ruh/Muhles Park. Lange Reihen alter Eichen und Robinien ziehen sich bis zum Horizont, dort, wo die Wümmewiesen beginnen. „Das kommt alles weg“, sagt Pensionär Bergmann, und, natürlich, sein Hund bellt dazu.

Seit Ende vergangenen Jahres ist das 23 Hektar große Areal, das durch das Parkgelände und den Hohenkampsweg begrenzt wird, als Bauland für rund 200 „freistehende Einfamilienhäuser“ im Gespräch. Sollten die Pläne der Bremer Firma Bongartz Immobilien, die das Gelände für den siedlungswilligen Führungsnachwuchs erschließen will, Wirklichkeit werden, ist Bergmann einer der ersten, dessen exklusiver Ausblick zugemauert wird. Ist es also purer Eigennutz, dass er und einige andere Anwohner jetzt eine Bürgerinitiative gegründet haben, um die Bongartz'schen Ideen abzuwehren?

Schließlich machen die Anwesen an der Oberneulander Landstraße und ihren Nebenwegen nicht den Eindruck, als ob dort quasi naturgemäß sozialer Protest gedeiht. Hier wachsen in erster Linie die Hecken, präzise geschnitten, dahinter dezentes Immergrün und weiß getünchte Eigentumshäuser, auf deren Briefkästen „Gesichertes Objekt“ steht. In einem Vorgarten flattert die Bremer Flagge.

Nein, sagt der Mann am Panoramafenster, der vor 15 Jahren sein Grundstück noch zum Schnäppchenpreis bekommen hat, es ginge um mehr als seine Aussicht: darum nämlich, dass eine Kulturlandschaft zerstört würde und dazu der Charakter des gesamten Ortsteiles. Darum, dass für eine so große Zahl „dicht an dicht“ stehender neuer Häuser – Bergmann geht sogar von 300 aus – in Oberneuland im Ansatz keine Infrastruktur existiere. Die Straßen seien zu schmal, es gebe nur wenige öffentliche Einrichtungen, die Kanalisation sei uralt. Und: Es gebe keine vernünftige Zuwegung für das Gelände. Der ehemalige Apotheker fürchtet den Verkehr, der durch das neue Wohngebiet entstehen würde.

Unterstützung findet die Initiative im Planungsamt. Dort kam man zu dem Schluss, dass eine „isolierte Bebauung“ derartiger Flächen – eine zweite, kleinere ist ebenfalls im Gespräch – den städtebaulichen Zielen in Oberneuland entgegenstehe. Außerdem müssten beide Areale aus dem bestehenden Landschaftsschutzgebiet herausgenommen werden – aus Sicht der Planer nicht angezeigt. Die große, landwirtschaftlich genutzte Fläche, gehöre zum „prägenden Umfeld“ der nahen Parkanlagen. Und: Bauland für hochwertige Einfamilienhäuser gebe es im Bereich Oberneuland/Borgfeld mit seinem Potenzial von „mindestens“ 2.000 Grundstücken genug in den nächsten Jahren.

Argumente, die Michael Bongartz, geschäftsführender Gesellschafter des gleichnamigen Unternehmens, nicht teilt: Jedes Jahr gebe es dreißig bis vierzig Familien mit ordentlich Eigenkapital, die gern in Oberneuland bauen würden, ohne Bauträger und nirgendwo sonst. In den geschützten Flächen erkennt er lediglich einen „überdüngten Acker“; die Bäume würden ja stehen bleiben. Und wenn nicht demnächst neue Familien nach Oberneuland ziehen würden, „dann ist der Kindergarten pleite“. Den Einwand, dass es im Ortsteil doch Hunderte unbebauter Grundstücke gebe, dazu noch das brach liegende Gelände des Fußballclubs, lässt er nicht gelten: Das seien „theoretische Zahlen“. Und auf das FCO-Gelände will sein ambiente-verliebtes Klientel seiner Ansicht nach nicht.

Ob Bongartz' Pläne eine Zukunft haben, ist allerdings ungewiss. Der Bürgerinitiative zufolge hat der Unternehmer zwar unlängst Bürgermeister, Senatoren und Bürgerschaftsmitglieder mit Briefen eingedeckt, um für seine Sache zu werben. Baupolitiker wie Carsten Sieling (SPD) halten die Dimension des Vorhabens jedoch für überzogen, „das kann in dieser Form nicht laufen“. Es solle aber ernsthaft geprüft werden, wo und in welcher Form in Oberneuland Platz neu bebaut werden könne.

Während sich sein Kollege Helmut Pflugradt (CDU) überhaupt nicht positionieren möchte, heißt es von Seiten der Bausenatorin, es gebe „Vorüberlegungen“. Im nächsten Monat soll ein Workshop von Planern und Ortsteilpolitikern stattfinden, in dem über die Zukunft des Stadtteils nachgedacht werden soll – etwa darüber, was Oberneuland an neuer Bebauung „verträgt“. Oder, ob man durch bestimmte Projekte möglicherweise Präzedenzfälle für andere Flächen schafft. Die Bürgerinitiative befürchtet einen „Dammbruch“, sollte auch westlich von Höpkens Ruh/Muhles Park über die bisherige Grenze hinaus Bauland geschaffen werden. Dann ginge die weitere Stoßrichtung klar in Richtung Borgfeld.

Die Besitzerin der 23 Hektar Bauernland an Muhles Park, eine kunstsinnige ältere Dame, die ihren Gatten – einen Bauern – bereits überlebt hat, sagt zu alldem nur: „Wir geben keine Auskünfte“. Und genießt, obwohl sie entschlossen ist, das Grundstück zu verkaufen, noch immer den Blick aus ihrem Panoramafenster. Mit einem Blumentopf darin, genau in der Mitte, mit feuerroten Blüten. hase