Segen aus dem Spülstein

Radio Vatikan sendet das Wort des Papstes in die Welt hinein. Und verursacht mit den Sendemasten vermutlich Leukämie. Jetzt wurde ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung eingeleitet

aus Rom MICHAEL BRAUN

Eigentlich versteht sich Radio Vatikan als Stimme Gottes, die die frohe Botschaft in die Welt hinaussendet. Doch zurzeit gibt es schlechte Nachrichten. Die vorerst letzte: Der römische Staatsanwalt Gianfranco Amendola hat wegen mehrerer Leukämiefälle rund um den Sender ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung eingeleitet (die taz berichtete).

Denn Radio Vatikan ist nicht eben zimperlich, wenn es darum geht, das eigene Programm bis in den letzten Erdenwinkel auszustrahlen. Auf einem 400 Hektar großen Gelände im Norden Roms senden hunderte Mega-Antennen – die höchste hat selbstverständlich die Form eines Kreuzes – mit so viel Power, dass Johannes Paul auch in Neuseeland noch zu hören ist. Kein Menschenkind muss so die Predigten missen, die zum Beispiel die Abtreibung als Kindsmord geißeln.

Doch Radio Vatikan sieht sich nun mit dem Vorwurf konfrontiert, es selbst mit dem Lebensschutz nicht so genau zu nehmen: Die Bewohner der Anrainergemeinden haben den Verdacht, dass die von den Hochleistungsantennen produzierten elektromagnetischen Felder der Grund für eine Häufung von Krebs- und Leukämiefällen sind. Wie kräftig die tagtägliche Strahlung ist, erfahren die Menschen in den grünen Vororten Roms laufend. Dort nämlich braucht man kein Radiogerät, um auf Empfang zu sein; aus Spülsteinen, aus metallenen Zaunpfählen, aus Waschmaschinentrommeln ertönen die freundlich-salbungsvollen Stimmen der Sprecher.

„1995 sind wir aufs Land gezogen, und 1998 erkrankte meine kleine Tochter an Leukämie“, berichtet der Ladeninhaber Augusto Rossi. „Kaum lag sie im Krankenhaus, wurde ein anderes Mädchen mit Leukämie eingeliefert, das ganz in der Nähe wohnt.“ Rossi wurde misstrauisch, er wälzte Daten – und entdeckte, dass in den Orten um den Sender unerklärlich hohe Leukämieziffern erreicht wurden. Nur eine mögliche Ursache drängte sich in der grünen Idylle ohne jede Industrie auf: Radio Vatikan. Eine wissenschaftliche Studie kam in der Region Latium zum gleichen Resultat: Sechsfach höher als in Rom liege die Leukämierate der Kinder rund um die katholischen Antennen. Rossi hat derweil das Aktionskomitee „Kinder ohne Strahlen“ gegründet, das den Sender zu einer radikalen Reduzierung der Strahlenbelastung zwingen will. Auf dem Papier wäre es ein leichter Kampf, denn das italienische Gesetz gibt den Anwohnern Recht. Nur sechs Voltmeter elektromagnetische Belastung sind erlaubt; Messungen von 1999 zufolge erreicht Radio Vatikan den dreifachen Wert. Und Guido Santonocito, Experte des WWF, maß in einigen Wohnungen in Cesano gar 50 bis 60 Voltmeter. Italiens Umweltminister müsste den Sender also sofort abschalten – doch das kann er nicht. Denn ein Staatsvertrag von 1951 billigt dem Sendegelände extraterritorialen Status zu – italienische Beamte haben keinen Zutritt. Der Vatikan legt den Vertrag sehr freihändig so aus, dass damit auch gleich die italienischen Umweltnormen für fromme Radios egal sind.

Mit dieser Rechtsauffassung schmettert die Kurie die Anwohnerproteste genauso ab, wie sie bisher die Verhandlungen mit Italien über eine einvernehmliche Regelung verschleppt. Mittlerweile aber geht diese Strategie nicht mehr auf. Vor zwei Wochen wurde in Rom ein Prozess gegen drei Senderchefs eröffnet. Zwar musste die Verhandlung vertagt werden, da der Vatikan sich weigerte, die Vorladungen an die Angeklagten weiterzuleiten. Doch jetzt gehen sie an die Privatadressen der Verantwortlichen. Zugleich droht dem Sendebetrieb das Aus: Umweltminister Willer Bordon will die Stromversorgung unterbrechen, wenn Radio Vatikan nicht bis Ende der Woche die Einhaltung der italienischen Grenzwerte gewährleistet. Kaum lag dieses Ultimatum auf dem Tisch, da bekam Radio Vatikan mit dem Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung die bisher schwerste Breitseite ab.

Doch die hartleibigen Prälaten zeigen Einsicht: Auf einer eiligst anberaumten Sitzung der italienisch-vatikanischen Kommission wurden die Verhandlungen über die Zukunft der Sendeanlage wieder aufgenommen.