bomben, kultur etc.: Israels Linke möchten wieder ins Theater gehen
Warum so unglücklich
Am Sabbat auf dem Ben-Gurion-Flughafen zu landen, hat Vor- und Nachteile. Der Vorteil ist, dass die Straßen an diesem Tag leer sind und die Fahrt nach Tel Aviv in einem Viertel der werktags nötigen Zeit möglich ist; der Nachteil, dass der öffentliche Nahverkehr ruht. Am Sabbat springt kein Funke und entsprechend kein orthodoxer Ottomotor.
Momentan trifft das nicht viele Reisende, weil sowieso zwei Drittel aller Flüge nach Israel gestrichen sind. Und wir haben Glück, ein privater Bus erwartet uns am Flughafen. Überhaupt scheinen uns hier alle zu erwarten. „Wir freuen uns sehr, dass Sie in dieser Situation nach Israel gekommen sind“, begrüßt Frau Haviv die Reisegruppe der Bundeszentrale für politische Bildung im Hotel und macht den Teilnehmern Mut: „Es ist noch eine Reisegruppe angekommen. Sie sind nicht allein.“
Damit nehmen die Touristen zweifellos eine Ausnahmestellung ein, denn alle anderen hier sind es. Allein, ratlos, hoffnungslos. Am offensichtlichsten die Palästinenser: Die autonomen Gebiete sind abgeriegelt, die Unterstützung der arabischen Bruderstaaten geringer als erwartet, und der Rest der Welt guckt sowieso lieber auf Makedonien.
Isoliert sind seit Beginn der Al-Aksa-Intifada auch die arabischen Israelis: Waren noch vor einem halben Jahr am Sabbat die Geschäfte und Restaurants von Tel Avivs arabischer Altstadt Jaffa voller Juden, wird der Stadtteil heute gemieden. Aus Angst oder zur Bestrafung. Juden, kauft nicht beim Araber!, brachten es im Oktober drei Rabbiner in der alten Kreuzfahrerstadt Akko auf den Punkt. Auf arabischer Seite soll seit einem Kongress vergangene Woche in Jerusalem die Idee der „unilateral coordinated separation“ hoch gehandelt werden.
Am einsamsten zwischen all diesen Separationsmaschinen steht jedoch die israelische Linke. Mit Arafats „No“ in Camp David verließ sie nicht nur die seit sieben Jahren gut genährte Hoffnung auf Frieden, sondern eine wesentlich länger gehegte Utopie. Zur allgegenwärtigen Mischung aus Frustration und Fragezeichen kommt hier pure Fassungslosigkeit. Wie es weitergehen kann, weiß kein Mensch, da anscheinend schon die Gegenwart auf einem Missverständnis beruht. „Die Situation“, da sind sich endlich alle einig, „ist eine Katastrophe.“
Es ist Frühling in Tel Aviv. Das Mittelmeer hat Badetemperatur, und der zentral gelegene Strand der schönen Bauhaus-Stadt ist weiß, fein und von Eminem beschallt. Die Bilder zur Lage liefern trotzdem die Manic Street Preachers. MTV zeigt dreimal täglich ihr Video „So Why So Sad“, in dem Panzer und Fallschirmjäger einen Strand okkupieren, dessen Sonnenbadende nicht einmal den Kopf heben. „Tel Aviv ist die ultimative Eskapistenstadt“, zuckt die junge Schriftstellerin Dorit Rabinyan die Schultern. An der Uni beschäftigen sich dieses Semester weniger Soziologiestudenten mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt als mit dem Einfluss Ally McBeals auf das Selbstbildnis israelischer Frauen. „Die Maximalforderung der Araber hat die Linken sprachlos gemacht“, erklärt ihr Professor Natan Sznaider, „jetzt gehen sie lieber wieder ins Theater.“
„Was momentan passiert“, wiederholt Dina Aldor am Abend im verwaisten Café Odeon, „ist eine Katastrophe.“ Dina ist Chefin der Agentur Multimedia und organisiert internationale Gastspiele. Vielleicht muss man sagen: organisierte. Allein heute erhielt sie zwei Absagen. Am Morgen cancelte Bebel Gilberto ihr Konzert in Tel Aviv aus Angst vor Anschlägen, am Nachmittag meldete der Produzent des Musicals „Stomp“, dass er keine Versicherung für das Ensemble abschließen könnte, und ohne Versicherung kein Spiel. Seit Oktober, sagt Dina, habe sie keinen Pfennig verdient. Aber viel verloren.
Fünf Jahre etwa hatte sie daran gearbeitet, die belgische Tanzgruppe Rosas in Israel zu präsentieren. Dieses Frühjahr sollten sie gastieren, die Werbung war gedruckt, die Karten verkauft, dann kam ein Brief aus Brüssel: Man könne nicht tanzen, wo 50 Kilometer weiter geschossen würde. Dina kann es nicht fassen. Jahrelang hat sie die arabischen Kommunisten gewählt, und nun will man ihr aus Brüssel erklären, was Intifada bedeutet. Sie sammelte 200 Unterschriften israelischer Künstler, die die Rosas baten aufzutreten, und schickte sie nach Europa. Auf eine Antwort wartet sie bis heute. Was bleibt, ist Zynismus: Goran Bregović aus Sarajevo wird jedenfalls auftreten. Und Jan Fabre gastiert am Samstag in Jerusalem mit seiner Expo-Uraufführung „As long as the world needs a warrior soul“.
Tel Avivs Stadtzeitung druckt das lokale Theaterprogramm neben dem von New York und Amsterdam. „Die Stadt ist eine kulturelle Enklave, in der sich die Menschen mehr und mehr von der Politik abkoppeln.“ Natan Sznaider sagt das nicht glücklich, obwohl er im Ruhebedürfnis seiner wohl situierten Mitbürger letztlich die momentan einzige Kraft zur Normalisierung der Verhältnisse sieht. „Es ist einfach: Die gut Gestellten wollen Frieden, weil sie im Flughafen nicht immer im Extraterminal sitzen wollen. Man will sitzen, wo die ausländischen Reisenden sitzen, in den Cafés, man will in den Duty Free Shop gehen. Noch dazu, da man weiß, warum man im Extraterminal sitzt: damit man alleine hochgeht, wenn die Bombe explodiert.“ CHRISTIANE KÜHL
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