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Die Stunde der Zivilgesellschaft

Die Castoren sind im Lager Gorleben. In den „Trebeler Bauernstuben“ lassen die GegnerInnen ihre Protesttage ausklingen  ■ Von Heike Dierbach

Über den Stuhllehnen dampfen die Regenjacken. Davor sitzen die AktivistInnen, mit zerzausten Haaren und Ringen unter den Augen, den Kopf in die Hand gestützt. Aber zufrieden. Wer neu hereinkommt, hält nach Bekannten Ausschau: „Hast du alles gut überstanden?“ Die KämpferInnen treffen sich nach der Schlacht, wie schon seit Jahren, in den „Trebeler Bauernstuben“.

Nicht um ihre Wunden zu le-cken: Um zu feiern, dass sie gewonnen haben – auch, wenn fünf Kilometer entfernt im Zwischenlager Gorleben seit einer Stunde sechs Castoren mehr stehen. Kurz nach 8 Uhr gestern morgen war der erste Atommüll-Transport im Wendland seit dreieinhalb Jahren „erfolgreich beendet“ worden, wie die Pressestelle von Polizei und Bundesgrenzschutz vermeldete (siehe Berichte im überregionalen Teil).

Kaffee und Kakao fließen dennoch hektoliterweise in der Gaststätte. Eine Frau geht mit einer Plastiktüte herum: „Will noch jemand belegte Brötchen?“ Immer mehr Menschen drängen in den niedrigen Saal, es wird gemütlich warm. Auf der kleinen Bühne, auf der sonst Theater- und Musikdarbietungen stattfinden, versuchen zwei Männer, ein Transparent zu befestigen: „Castor stoppen. Atomkraft abschalten. Sofort.“

Hier sind sie noch einmal alle versammelt, die sich in den vergangenen fünf Tagen auf die Schiene gesetzt und Straßen blockiert haben, die Gemüse schnippelten oder Internetseiten bestückten. Nicht wirklich alle, aber doch die prominenten Gesichter und die vielen anderen – und einige, die in diesen Tagen prominent wurden.

Als zwei der BetonblockiererInnen von Robin Wood die Bühne betreten, brandet minutenlanger Applaus auf, die Menge stampft mit den Füßen. Die beiden lächeln erst etwas unsicher, dann freuen sie sich einfach. Jemand will wissen, wie es Marie geht, der 16-Jährigen. Alles in Ordnung, lautet die Antwort. Auch Greenpeace-AktivistInnen bedanken sich für die freundliche Aufnahme in der Region – „Wir haben Greenpeace zu danken“, schallt es zurück. Durch die Fenster sieht man auf der Straße den endlosen Konvoi der Polizei abziehen.

Drinnen ist jetzt die Stunde der Zivilgesellschaft. Es sprechen noch einmal VertreterInnen aller Initiativen, die Arbeit der Volksküchen wird gewürdigt – sie bekommen fast so viel Applaus wie die Blo-ckierer – und jemand verteilt Flugblätter mit den Aktionskonzepten für Blockaden in Biblis, Philippsburg und Neckarwestheim.

Als die Versammlung ausklingt, ist draußen schon fast alle Polizei abgezogen. Kein Wasserwerfer mehr auf dem Dorfplatz, kein BGS-Bus an jedem Waldweg. Die Sonne kommt raus. Das Wendland ist fast schon wieder, was es eigentlich ist: ein beschaulicher Landstrich.

Wer jetzt durch die Wiesen und sanften Hügel nach Hause fährt, versteht, warum die Menschen hier ausgerechnet auf diesen Slogan kamen: Gorleben soll leben.

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