berlins zweite chance
: Nummern für die Metropole

Wir waren schon mal weiter. Als die Preußische Landesversammlung 1920 mit knapper Mehrheit die Gründung Groß-Berlins beschloss, versahen die Bürokraten jeden der 20 neuen Stadtbezirke mit einer Nummer. Durchsetzen konnte sich das System leider nicht. Zu widerwillig hatten sich die Neuberliner eingemeinden lassen, als dass sich zum Beispiel ein Spandauer mit dem „Achten Bezirk“ identifizieren konnte. Selbst die Bewohner des einstigen Gutsbezirks Dahlem ließen sich offenbar lieber von den benachbarten Zehlendorfern unterbuttern, als die Bezeichnung „Zehnter Bezirk“ anzunehmen.

Kommentar von RALPH BOLLMANN

Die Bezirksreform bietet jetzt eine zweite Chance der nachholenden Modernisierung, die Berlin nicht verstreichen lassen sollte. Jene umständlichen Doppel- und Dreifachnamen, um die in nächtlichen Sitzungen mühsam gerungen wird, führen das krude Berliner System der Bezirks- und Stadtteilnamen endgültig ad absurdum. „Prenzlauer Berg, Weißensee und Pankow“ – das geht niemandem flott von den Lippen. Auch Bezeichnungen wie „Charlottenburg-Wilmersdorf“ oder „Lichtenberg-Hohenschönhausen“ sind arge Zungenbrecher. Und dass der Westhafen „Mitte“ sein soll, die südliche Friedrichstraße aber nicht – das kann man erst recht niemandem mehr erklären.

Berlin sollte die Gelegenheit nutzen, die Bezirke einfach durchnummerieren – und auf diese Weise endlich in die Reihe der wahren Metropolen aufzusteigen. In Paris oder Wien, Prag oder Budapest haben sich Namensprobleme nie gestellt: Dort wurden die Stadtbezirke schon immer so schlicht wie effektiv mit nackten Zahlen unterschieden. Der Anhänglichkeit an das, was die Berliner „Kiez“ nennen, hat es nicht geschadet.

Merkwürdig: Gegen Zahlen hegen die angeblich so effizienten Deutschen eine tief sitzende Abneigung. So beschwerte sich bei der Einführung der neuen Postleitzahlen ein Hinterbänkler aus dem Bundestag, die Sachsen würden zu den „Nullen der Nation“ degradiert – dabei ist die Null in Italien für die Hauptstadt und in Frankreich für die Départements am Beginn des Alphabets reserviert. In den Siebzigern versuchten die Deutschen mit Hilfe der Mengenlehre sogar, die Zahlen sogar aus dem Mathematikunterricht zu verbannen.

Ohne ständige Reformen, so scheint es, geht in Deutschlands nichts. Während in Rom die „Rioni“ des historischen Zentrums noch weitgehend mit den „Regiones“ der Antike identisch sind, hat Berlin seine Bezirke schon nach nur 80 Jahren wieder umgemodelt. Das fand der angeschlagene CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky nicht „erotisch“. Daran allerdings würden auch die Nummern wenig ändern. Schließlich konnte der Mann, wie sich jetzt zeigt, mit Zahlen nicht umgehen.