Meine große Chefin

Frauen führen anders und Stricken macht schlau. Über die vertrackte Logik geschlechtsspezifischer Unterschiede

von DOROTHEE WENNER

Chefinnen mögen es gemeinhin nicht besonders, über das zu reden, was ihren Führungsstil vom männlichen unterscheidet. Die Fach- und Ratgeberliteratur hingegen ist nie um Worte verlegen. Bei Titeln wie „Die Delphinkarriere“ oder „Erfolgstrategien für Frauen“ werden unterschiedliche Managementstile wortreich dem Hai, dem Guppy – und eben dem Delphin zugeordnet. Der Hai, erfährt man, delegiert selten, ist unberechenbar und hat ein taubes Ohr für neue Ideen, während der Guppy den Wettbewerb meidet und nur über einen selbstabwertenden Humor verfügt. Der Delphin delegiert, wann immer es ratsam ist, baut auf die Stärken seiner Mitarbeiter, geht locker mit Macht um, ist geradeheraus, fest, aber fair.

In der Managementprosa sind Analogien aus dem Tierreich wohl auch deswegen beliebt, weil dieser Trick davor schützt, sich auf das glitschige Parkett des Biologismus begeben zu müssen. Denn natürlich gibt es die machtversessene Chefin ebenso wie den sozial kompetenten Chef – und doch sind es die weiblichen „Delphin“-Fähigkeiten, die derzeit als extrem brauchbar für die sich im Umbruch befindende Wirtschaft entdeckt werden.

„Ich sehe in meinen Mitarbeitern nicht nur Arbeitskräfte, sondern Menschen“, beschreibt Lena Böcker, Chefin eines Blumengeschäfts mit achtzehn Angestellten, ihre Form der Personalführung. „Als Frau nimmt man wesentlich mehr am Leben der Mitarbeiter teil, es herrscht bei uns fast eine familiäre Beziehung untereinander“, sagt die 37-Jährige. Weitere Unterschiede zu einem männlichen Führungsstil kann Böcker nicht erkennen.

Helene Abtahi, die bis vor kurzem gemeinsam mit einer anderen Frau ein Berliner Innenarchitekturbüro leitete, gesteht, dass sie sich manchmal gefragt habe, ob sich dieser oder jener Auftraggeber anders verhalten hätte, wäre sie ein Mann. „Aber das ist schwer zu sagen. Was ein klassischer Chef garantiert anders, pragmatischer hingekriegt hätte, war die – zum Glück nur einmal – notwendige Entlassung eines Mitarbeiters. Wir haben uns mit dieser Kündigung sehr schwer getan, weil wir immer akzeptierten, dass Mitarbeiter natürlich auch persönliche Probleme haben können“, sagt die 38-Jährige. Diese Einstellung, meint Abtahi, habe dem Fortkommen der Firma aber möglicherweise eher geschadet.

Wenn sich Christine H. als Chefin eines großen Kulturbetriebes zum Thema äußert, wird es grundsätzlicher. Als überzeugte Partizipatorin der Frauenbewegung seit den frühen Siebzigerjahren fällt es ihr nicht schwer, zuzugeben, dass sie Frauen als Mitarbeiterinnen bevorzugt, „weil sie nicht so viele Gedanken an ihren Status verschwenden und mehr daran interessiert sind, gut und schnell zu arbeiten“. Sie selbst habe es als Chefin nur mühsam gelernt, Anweisungen zu geben – die Titulierung „Chefin“ sei ihr bis heute fremd. An die „Genialität einsamer Entscheidungen“ mag sie nicht glauben, ihr liege es eher, im Team gemeinsam Lösungen zu finden. „Das hat natürlich auch damit zu tun, dass Frauen harmoniesüchtig sind und Konflikten lieber aus dem Weg gehen. Andererseits bin ich überzeugt, dass Frauen anders planen, weil sie um die Endlichkeit wissen – und das ist sehr gut für einen Betrieb.“

Christine H. hat sich in über dreißig Berufsjahren eine von vielen beneidete Menschenkenntnis erworben. Zugute kommt ihr das vor allem bei Einstellungsgesprächen: „Ich möchte andere Menschen vor dieser unangenehmen Prüfungssituation bewahren. Ich ziehe es deswegen in solchen Momenten vor, zu plaudern, und achte viel mehr darauf, wie jemand sitzt, ich achte auf Kleidung und wohin sich jemand beim Sprechen wendet. Um mich darauf konzentrieren zu können, bitte ich gerne andere Mitarbeiter hinzu und lasse sie die entscheidenden Fragen stellen.“ Außerdem, sagt sie, „denke ich immer noch, dass ich von anderen lernen kann, das hilft mir“. Dass ihre Organisation wie ein Organismus funktioniere, sei das schönste Lob gewesen, das man ihr jemals gemacht habe.

Diese drei Chefinnen bringen auf den Punkt, worum es in der derzeitigen Diskussion um weibliche Führungskräfte geht. Detailstudien und Umfragen zum Thema kommen zu dem einheitlichen Ergebnis, dass Frauen in Toppositionen über höhere emotionale Kompetenz (EQ), größere Teamfähigkeit und mehr Ausdauer beim Aufspüren von Lösungsansätzen verfügen als Männer: Qualitäten, deren Wert in keinem ernst zu nehmenden Unternehmen mehr in Frage gestellt wird.

Daraus folgt natürlich nicht, dass Frauen als „die besseren Chefs“ ihre männlichen Kollegen sämtlich vom Sessel schubsen sollen. Angestrebt wird eher ein höherer Frauenanteil in den Chefetagen, wo mit Hilfe der geschlechtsspezifischen Kompetenzen weiblicher Teammitglieder die inzwischen als rückständig geltenden reinen Männerdomänen modernisiert werden sollen. Doch allein aufgrund dieser schönen Erkenntnisse sind die neuen weiblichen Führungsstars – die „Delphine“ – natürlich noch längst nicht da, wo moderne Personalmanager sie sich hinwünschen. Beispielsweise gibt es unter den 550 Führungskräften der DG-Bank nur etwa achtzig Frauen, bei der Deutschen Bank und der Commerzbank liegt der Prozentsatz kaum höher. Mit gerade mal einem Prozent Frauenanteil in Führungspositionen bildete der Bereich „Produktion“ 1999 vor dem Bereich „EDV“ das Schlusslicht.

Zur Erklärung solcher Zahlen heißt es dann ebenso einheitlich, wie auf der anderen Seite die neu entdeckten Führungsqualitäten von Frauen gelobt werden: Frauen scheuen das Risiko, trauen sich weniger zu, stellen zu hohe Anforderungen an sich selbst, können nur schwer konkrete Berufsziele benennen und stehen allzu oft vor der Kinder-oder-Karriere-Kreuzung.

Ein Blick in die IT-Branche verdeutlicht, dass die Probleme noch etwas vertrackter sind. Dank flexibler Arbeitszeiten, flacher Hierarchien, angelsächsischen Managements und (noch) nicht vorhandener Old-Boys-Netzwerke gibt es zumindest theoretisch ideale Aufstiegsmöglichkeiten für Frauen. Aber lediglich siebzehn Prozent der deutschen Computerfachleute sind weiblich, in Führungspositionen sind es sogar weniger als zehn Prozent. Rainer Fechner, Geschäftsführer von Lucent Technologies Deutschland, führt das Phänomen in einem Gespräch mit der Fachzeitschrift Informationweek auf tradiertes Rollendenken zurück. In der Schule würden Jungen unbewusst immer noch eher in naturwissenschaftlichen Fächern gefördert, Mädchen aber benachteiligt. Kein Wunder, dass unter den zwanzig beliebtesten Studiengängen deutscher Studentinnen das Fach Informatik – trotz sicherer Berufsaussichten – nicht auftaucht.

Auf der anderen Seite meint zum Beispiel Julia Neumann, Gründerin und Vorstandsvorsitzende von Canto Software, dass sie ihre mathematische Begabung beim Stricken komplizierter Pullover entdeckt habe. Und schon hat man aufs schönste den Spagat visualisiert: Tatsächlich kann ja nur eine klassische Sozialisation dazu führen, dass eine Frau später über jene weiblichen Kompetenzen verfügt, die derzeit von Personalmanagern in den höchsten Tönen gelobt werden.

Fragt man sich dann, warum nur so wenige Frauen den Lockrufen der New Economy in die Chefetagen folgen, so liegt die Antwort auf der Hand. Es ist offenkundig nicht ganz unkompliziert, die „typisch weiblichen“ Führungsstärken mit einigen der „typisch männlichen“ zu kombinieren. Man würde lügen, hielte man diese nicht nach wie vor für notwendig, um es beispielsweise in den Vorstand der Citibank Deutschland zu schaffen. Ebendort leitet die 36-jährige Christine Licci den Optionsscheinhandel des Unternehmens. Dem Managermagazin verriet Licci, dass sie sich bisweilen „wie die Mutter der Kompanie“ fühle und auch schon mal mit einzelnen Mitarbeitern in der Kneipe versacke, „wenn es dem Betriebsklima gut tut“. Ihre Devise: „Das private Umfeld meiner Leute muss stimmen, das fördert die Leistung.“

Rein rechnerisch kann es jedoch nicht weit her sein mit der Zeit und der Intensität, die Licci – die für weltweit dreihundert Mitarbeiter verantwortlich ist – dem Wohl und Wehe jedes Einzelnen widmen kann. Je höher die Position und je größer der Konzern, umso komplizierter wird es, die sämtlich im Sozialen verankerten weiblichen Führungsqualitäten mit Leben zu füllen. Vielleicht weigern sich viele Frauen einfach, ihre über Generationen erlernten weiblichen Kommunikations- und Verhaltensweisen nach rein betriebswirtschaftlicher Logik zu vermarkten?

Eine Zahl des multiMEDIA-Jahrbuchs 2000 legt diese Vermutung jedenfalls nahe: Drei von vier Betrieben, die von Frauen geführt werden, haben weniger als sechs Mitarbeiter. Die konkrete Anwendung weiblicher „Delphin“-Fähigkeiten scheint in kleinen Betrieben einfach besser zu funktionieren als in Großkonzernen.