: Sechs Tage im Wendland
Der Castor, der Widerstand, die Repression: Um eine Bewegung im Zaum zu halten, die der Staat nicht begreifen will, greift er auch zu illegalen Methoden. Ein Rückblick ■ Von Heike Dierbach
Der Ausnahmezustand ist vorbei. Jetzt juckt die Hand zum Schulterklopfen. Dabei darf stets der alle-Welt-umarmende Kommentar nicht fehlen: Die Ereignisse im Wendland seien ein Sieg für unseren demokratischen Staat, weil die AtomkraftgegnerInnen ja ihren Protest kundtun konnten. Diese Sichtweise ist falsch.
Denn wenn es nach dem Staat gegangen wäre, hätte diesmal überhaupt niemand sich im Wendland quer gestellt. Die Behörden wollten den Widerstand im Keim ersticken und haben dafür zu jedem Mittel gegriffen. Die Anordnenden wissen genau, dass viele dieser Maßnahmen illegal sind und dass Gerichte dies auch feststellen werden – wenn es zu spät ist. Aber das spielt keine Rolle, wenn es darum geht, eine Bewegung im Zaum zu halten, vor der – das beweisen die hysterischen Erlasse und Strafandrohungen – der Staat Angst hat.
Um nur einige Beispiele zu nennen: Jeder Wendländer durfte nur zwei Personen beherbergen und musste der Polizei sein Haus öffnen. Schulbeutel von Kindern wurden kontrolliert, mit Tiefflügen von Hubschraubern sollte die Bevölkerung eingeschüchtert weden. Das sind Szenarien, die man aus dem nordirischen Bürgerkrieg kennt.
Nicht, dass es wirklich schon so schlimm wäre im Wendland. Aber die Repression hat, verglichen mit dem Castortransport 1997, diesmal eine neue Stufe erreicht. Um das zu rechtfertigen, stellt Bundesinnenminister Otto Schily (SPD, studierter Jurist) hinterher Menschen, die ihren eigenen Körper gegen einen Zug einsetzen, auf eine Stufe mit Mördern, Vergewaltigern oder Entführern („schwerste Straftaten“).
Verwunderlich ist nur, dass die Behörden immer noch glauben, damit Erfolg haben zu können. In Wahrheit waren es gerade Verbote und Schikanen sowie die Empörung darüber, die die Menschen motiviert hat. Dass der Staat sich so verkalkuliert hat, beweist nur, dass er die Menschen im Wendland nicht versteht.
Dazu passen auch Katastrophenphantasien des Einsatzleiters Hans Reime wie diese, jemand könne sich „zum Märtyrer machen und vor den Zug werfen“. Wer das für möglich hält, hat ein völlig verqueres Bild der ProtestlerInnen – oder er will ein solches zeichnen, damit der Rest der Republik nicht merkt, dass das eigentlich ganz normale Menschen sind, mit einem ganz vernünftigen Anliegen.
Dabei, das hörte man im Wendland in diesen Tagen immer und immer wieder, müsste es diese Regierung doch besser wissen als ihre Vorgängerin: „Aber ausgerechnet Rot-Grün versucht uns so niederzumachen.“ Die Grünen kontern und verweisen auf den eigentlichen Buhmann Atomwirtschaft. Aber erlässt die vielleicht die Versammlungsverbote? Kann sie ein Camp verbieten? Diese Kreativität ist allein auf rot-grünem Mist gewachsen.
Dabei hätte sich die Regierung mit einem milderen Kurs nichts vergeben. Den Transport hätte sie auch ohne Versammlungs- und Campverbote durchbekommen. Warum also diese Panikreaktionen? Weil die Angst vor den politischen Folgen berechtigt ist: Die Anti-Castor-Bewegung ist gesellschaftlich stark. Sie hat Zulauf, vor allem von jungen Menschen, sie bekommt Öffentlichkeit, sie hat Sympathien in der Bevölkerung. Die Regierung kann an ihr nicht vorbei.
Deshalb geht das, was sich im Wendland in den letzten Tagen abgespielt hat, auch andere soziale Bewegungen in diesem Land an. Auch sie könnten ja einmal stärker werden. Und sind die staatlichen Waffen erstmal geschärft, werden sie gegen jeden Gegner eingesetzt – ob er nun für die Energiewende kämpft oder für Flüchtlinge oder gegen den Sozialabbau.
Wenn es hart auf hart kommt, das konnte man im Wendland live erleben, sind in diesem Staat die Grundrechte nicht garantiert. Die BürgerInnen müssen sie immer wieder einfordern und verteidigen – und sei es, indem sie sich über behördliche Verbote hinwegsetzen. Sonst ist Gorleben bald überall.
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