Zauberwährung oder Fluch

von INGO MALCHER
, TONI KEPPELER
und ANNE HUFFSCHMID

Der Dollar ist in Lateinamerika mehr als nur eine Währung. Die grünen Scheine haben etwas Geheimnisvolles, aber auch etwas Bedrohliches. In Zentralamerika etwa wird das Wort fast nur geflüstert. Mit fragendem Unterton: „Dolares?“ raunt es etwa in der Fußgängerzone der honduranischen Hauptstadt Tegucigalpa jedem zu, der fremdländisch aussieht. Chilenischen oder argentinischen Wirtschaftsprofessoren schwillt dagegen vor Begeisterung die Stime, wenn sie ihren Studenten die Vorzüge der Ankerwährung auf einem inflationsgeplagten Kontinent predigen. Die Latinos sind dem Dollar in Hassliebe verbunden.

Argentinien

Zum Beispiel die Argentinier: Sie feiern morgen ihren zehnten Dollargeburtstag. Und der neue Wirtschaftsminister heißt wie der alte: Domingo Cavallo. Er war es, der vor zehn Jahren den Kurs des argentinischen Peso eins zu eins zum Dollar festgesetzt hat. Mit dem Plan Cavallo befreite er das Land von der Hyperinflation. Seitdem werden ihm magische Kräfte nachgesagt. Und magische Kräfte sind jetzt wieder gefragt, denn Argentinien steckt seit geraumer Zeit in einer Wirtschaftsflaute – die andere Folge des Plan Cavallo.

Argentinien im Jahr 1990: Eine galoppierende Inflation setzte die Wirtschaft matt. Um damit Schluss zu machen, ließ Cavallo zum 1. April 1991 einen neuen Artikel in die Verfassung schreiben: Der argentinische Peso und der US-Dollar sollten künftig in Parität zueinander stehen. Auf diese Weise wurde verhindert, dass die Regierung einfach die Gelddruckpresse anwirft, wenn sie knapp bei Kasse ist. Obwohl Argentinien seine eigene Währung beibehalten hat, gab das Land einen großen Teil seiner geldpolitischen Souveränität auf. Es gilt der US-Zinssatz plus Risikozuschlag, wichtige Entscheidungen werden aus Washington übernommen. Ende 1996 konnte dann die frohe Botschaft verkündet werden: Zum ersten Mal war die Inflationsrate auf Null gesunken.

Finanziert hatte Cavallo dieses Programm mit der Privatisierung von Staatsunternehmen, extrem hohen Zinsen und Krediten. Von 1990 bis zum Jahr 2000 hat sich die argentinische Auslandsschuld deshalb verdoppelt.

Seit der brasilianischen Finanzkrise im Jahr 1998, in deren Folge der brasilianische Real abgewertet wurde, steht auch Argentiniens Paritätsmodell unter Druck. Im Austausch mit dem wichtigsten Handelspartner sind die argentinischen Waren viel teurer geworden, während sich die brasilianischen Waren stark verbilligt haben. Auch der starke Dollarkurs macht Argentinien zu schaffen. Die Peso-Dollar-Bindung wirkt als Exportbremse, so dass die Industrieproduktion sinkt, ebenso wie die dringend nötigen Direktinvestitionen, weil das Land im Vergleich zu seinen Nachbarländern sehr teuer ist. Und die hohen Zinsen in den USA mögen für den Boom oben im Norden angemessen gewesen sein. Für Argentiniens Rezession waren sie Gift. Die Folge: Verarmung der Mittelklasse und nie da gewesene Arbeitslosenraten.

Die geldpolitische Souveränität ist nicht komplett aufgehoben, Argentinien könnte den Peso abwerten. Doch redet niemand davon, denn das wäre der GAU: Ausländische Investoren würden über Nacht ihr Geld abziehen, die Zentralbank müsste die Zinsen erhöhen. Es wird weiterhin mit Pesoscheinen bezahlt, aber das Land ist de facto dollarisiert. Beim Einkaufen, bei Bilanzberechnungen in Firmen und vor allem im Staatshaushalt wird nur noch in Dollars gerechnet.

El Salvador

Der Dollar hat in El Salvador seine Magie verloren. Früher mussten die Salvadorianer genauso wie die Guatemalteken, Honduraner und Nicaraguaner auf Formularen in mehrfacher Ausfertigung peinlich genau begründen, warum sie die heimische Währung ganz legal in das Geld aus dem Norden umtauschen wollten. Und sie konnten nie sicher sein, wann und wie viel sie davon bekommen würden. Also gingen sie auf den Schwarzmarkt. Heute gehen Salvadorianer auf die Bank und heben Dollars von ihrem Konto ab. Alle Konten werden in Dollar geführt. Denn der rechte Präsident Francisco Flores hat Ende November vergangenen Jahres – ohne jegliche Vorbereitung – zum 1. Januar die Dollarisierung des Landes angeordnet. Wozu Europa viele Jahre braucht, benötigt El Salvador gerade einmal fünf Wochen. Dachte Flores.

Damals versprach der Präsident kleine Wunder. Die Zinsen würden sich halbieren. Alle dachten natürlich an Kreditzinsen, die bei knapp 20 Prozent lagen. In dieser Höhe schweben sie heute noch. Aber die Zinsen für die Spareinlagen sind von sieben auf ein Prozent gesunken.

Der liberale Volkswirt Arturo Zablah hatte dies prophezeit. „Die Banken werden sich auf dem internationalen Markt mit Krediten zu acht Prozent eindecken und sie hier zu 20 Prozent weiterreichen.“ Genau das war der Sinn der Dollarisierung. Denn anders als in Argentinien oder Ecuador, wo der Dollar eine rasende Inflation bremsen sollte, gab es in El Salvador gar nichts zu bremsen. Die Geldentwertung lag bei knapp zwei Prozent. Die makroökonomischen Rahmendaten waren vorbildlich.

Aber den Banken ging es schlecht. Die hatten jede Menge fauler Kredite. Der kleine Zirkel der Banker des Landes ist nämlich gleichzeitig der Zirkel der Importeure und Bauunternehmer. Kredite vergaben sie fast nur an sich selbst. Jetzt erwartet die Banker ein Milliardengeschenk. Das Dollarisierungsgesetz schreibt vor, dass die Zentralbank, wenn alle Colones in Dollars getauscht sind, die restlichen Devisenreserven ans Finanzministerium weiterreicht und dieses das Geld bei heimischen Banken anlegt. Mehr als eine Milliarde Dollar.

Doch so schnell wird es nicht gehen. Flores hatte sich nämlich nur halb getraut. Natürlich würde der heimische Colon weiterhin gültig sein, beruhigte er seine Landsleute. Nur eben zu einem festen Wechselkurs. Klartext sprach nur Zentralbankchef Rafael Barraza: Die Währungsbehörde werde alle Scheine einziehen, der sie habhaft werden könne. „In drei Monaten wird der Colon verschwunden sein.“

Diese drei Monate sind nun um. Aber die Salvadorianer hängen an ihren Colones. Erst ein Viertel des zirkulierenden Geldes wurde in Dollars getauscht. Auf dem Land werden die grünen Scheine nicht akzeptiert. Und die Regierung wagt es nicht zu drängen. Nach der Erdbebenserie seit dem 13. Januar ist das halbe Land zerstört. Die Menschen haben andere Sorgen. Würde jetzt auch noch der Dollar durchgedrückt, könnte es richtig Ärger geben.

Mexiko

Wenn es nach Rüdiger Dornbusch ginge, einem der Zaren der US-amerikanischen Ökonomenzunft, dann ist Mexiko auf Grund seiner US-Connection schon lange „der ideale Kandidat für die Dollarisierung“. Geht es aber nicht. Noch vor seinem offiziellen Antritt erklärte Präsident Vicente Fox: „In den nächsten sechs Jahren wird es beim freien Wechselkurs zwischen Dollar und Peso bleiben.“ Und: „Die Dollarisierung steht für mich nicht zur Debatte“. Für die mexikanische Geschäftswelt allerdings schon. Auch in Mexiko dienen die grünen Scheinchen längst als begehrte Wertanlage und als Quasiwährung an den von Gringos bevorzugten Stränden. Offizielles Tauschmittel aber sind sie nicht, Dollarkonten werden nur Auserwählten – Botschaftsangehörigen oder ausländischen Journalisten – gewährt. Das würde die Wirtschaftselite des Landes gerne ändern. Ihre Argumente: Inflation und Zinsen würden damit „automatisch“ auf US-Niveau gesenkt, Mexiko wäre im Rahmen des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (Nafta) attraktiver für ausländische Investoren, und auch heimisches Schwalbenkapital müsste nicht mehr ins Ausland fliehen. Schließlich wären auch die Mexikaner davon begeistert. „Ich kenne keinen Arbeiter, der nicht gerne in Dollars bezahlt würde“, so der Vorsitzende eines mächtigen Unternehmerverbandes.

Dass sie damit automatisch mehr verdienen, behaupten indes hingegen nicht einmal Befürworter. Und wenn man schon die europäische Währungsunion zum Vorbild nähme, schreibt der Wirtschaftskolumnist Jonathan Heath, dann müssten auch für Arbeitskräfte offene Grenzen gen Norden ausgehandelt werden – eine Forderung, gegen die sich die USA seit jeher gewehrt haben. Auch ohne Dollarwirtschaft will Fox die Inflation, derzeit bei unter 10 Prozent, bis 2003 auf US-Niveau drosseln – ohne die Nachteile einer Dollareinführung hinnehmen zu müssen: Mit der Dollarisierung geht jede geldpolitische Souveräntität verloren. „Es gibt dann keine Geldpolitik mehr“, resümiert José Antonio Ocampo von der Lateinamerikanischen Wirtschaftskommission Cepal. Just dies finden Dollarsierungsfans wie der US-Wirtschaftsexperte Steve Hanks gerade erstrebenswert. „Die Zentralbanken der Entwicklungsländer sind gefährlich“, begründete er sein Credo vor einiger Zeit freimütig in einer mexikanischen Tageszeitung, „die produzieren immer heißes Geld.“