„Geduld über den Tod hinaus“

„Ich habe keine Lust, über Perückenzu reden.“

Interview BARBARA BOLLWAHN
DE PAEZ CASANOVA

taz: Frau Hildebrandt, „Es kann nicht sein“ war stets ein zentraler Satz in Ihrem Leben. Dann kam der Krebs. Haben Sie diesen Satz seitdem ersetzt durch „Don’t worry, be happy“?

Regine Hildebrandt: (lacht) Nein, das war schon immer so. „Don’t worry, be happy“ war erst recht mein Motto zu DDR-Zeiten. Da mussten wir uns noch viel mehr anjubeln, um dieses „Es kann nicht sein“ zu verändern.

Wie geht es Ihnen denn im Moment?

Ich bin jetzt wieder in einer Chemotherapiephase drin, und da verschlechtert sich erst mal die Situation von Tag zu Tag. Ich hatte 1996 schon mal eine Chemotherapie, und da musste ich drei Tage pausieren, und dann konnte ich zweieinhalb Wochen wieder arbeiten – bis zum nächsten Schlag. Jetzt bei der stärkeren Therapie ist man froh, wenn man in dem Dreiwochenzyklus eine Woche einsatzfähig ist.

Sie sind das Sprachrohr der Arbeitslosen und Wendeverlierer und jetzt auch noch der Krebskranken, indem Sie offen über Ihre amputierte Brust und die Haarbeschaffenheit Ihrer Perücke reden. Bereuen Sie manchmal, dass Sie so gesprächig sind, oder ist das Teil der Therapie?

Weder noch. Als Person des öffentlichen Lebens und bei so viel Anteilnahme hat man die Entscheidung gar nicht. Jetzt war es gelungen, dass die zweite Chemotherapie, die Anfang Dezember begonnen hat, erst Mitte Januar bekannt geworden ist. Und wenn dann in der Bild „Neue Chemotherapie“ steht, kann ich das doch nicht dementieren. Genauso ist es mit den Haaren. Ich habe überhaupt keine Lust, über Perücken zu reden. Aber wenn alle sagen, guck mal, wie sie aussieht, eiere ich nicht rum und erzähle, ich habe jetzt einen neuen Frisör. Bei meinen dünnen Fusseln, die ich mein Leben lang habe!

Hilft die öffentliche Anteilnahme bei der Bewältigung der Krankheit?

Die psychosomatische Komponente spielt sicher eine Rolle. Deswegen hilft es natürlich. Wissen Sie, früher in dem Ministerjob und dann noch mit unserer CDU in Brandenburg, da musste ich ja viel schlucken.

Sie haben einmal gesagt, die jahrelangen CDU-Attacken im Brandenburger Landtag wegen der Haushaltsaffäre in Ihrem Ressort – später wurden alle Mitarbeiter freigesprochen – seien für Ihre Krebserkrankung mitverantwortlich.

Es geht darum zu fragen, was die auslösenden Ursachen waren. Ich bin nicht geschieden, meine Familie ist glücklich, es gab keine Umbrüche. Ein Baustein war zweifelsohne auch die Atmosphäre dort.

Im FAZ -Fragebogen haben Sie auf die Frage „Wie wollen Sie sterben?“ geantwortet: „Ohne Schmerzen – geistig klar“. Mit der Aufforderung an die Bundesregierung, das Verbot der aktiven Sterbehilfe zu überdenken, haben Sie eine Diskussion angestoßen. Jetzt äußern Sie sich nicht mehr dazu. Warum?

Wenn Herta Däubler-Gmelin mir sagt, dass schon der Begriff in Deutschland identisch mit Euthanasie ist, dann hat es keinen Sinn, diesen Begriff in die Diskussion zu werfen, weil man damit nur Mauern aufbaut. Ich will, dass es ein selbst bestimmtes, humanes Sterben gibt. Deswegen müssen wir sehen, wie weit das in der Bundesrepublik Deutschland bereits schon Rechtslage ist, bloß eben die Informationen noch nicht ausreichend verbreitet sind. Mit der Patientenverfügung hat man die Möglichkeit zu sagen, ich möchte keinerlei lebensverlängernden Maßnahmen mehr haben. Der zweite Punkt ist die Frage der Beihilfe zur Selbsthilfe. In der Schweiz ist sie so organisiert, dass die Menschen davon profitieren, weil sie wissen, wie das funktionieren kann. In Deutschland habe ich bisher den Eindruck, ist das weder den betroffenen Menschen noch den Familien noch den Ärzten klar.

Der brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD), der Sie vor anderthalb Jahren einer Koalition mit der CDU geopfert hat, überreichte Ihnen am Donnerstag das Bundesverdienstkreuz. Ehrt Sie die Auszeichnung?

Was heißt, Stolpe hat mich geopfert? Stolpe ist Stolpe. Er ist ein Moderater, kein Revolutionär. Und wenn in Brandenburg die Mehrheitsverhältnisse offenbar so sind, dass eine Große Koalition für die bessere Variante gehalten wird von den Mandatsträgern, die das zu entscheiden haben, dann hätte Stolpe kämpfen müssen, wenn er es anders wollte – mit ungewissem Ausgang. Aber er ist kein Kämpfer, und deshalb können Sie nicht sagen, er hat mich geopfert.

Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung?

Das ist so eine Gretchenfrage. Als jahrzehntelanger DDR-Bürger habe ich zu Auszeichnungen ein lebenslang gestörtes Verhältnis. Einmal sollte unser Kollektiv als Kollektiv der sozialistischen Arbeit ausgezeichnet werden, und ich war nicht im FDGB. Aber nur wenn alle da drin waren, bekam man mehr Geld für die Brigadeaktivitäten. Dann habe ich aus Einsicht in die Notwendigkeit gesagt: „Jut, um meines Kollektivs willen trete ich in den FDGB ein.“ Bums, wurde ich Aktivist und für schöpferische Unruhe ausgezeichnet. Aber selbstverständlich ist es so, dass das Bundesverdienstkreuz schon eine bedeutende Auszeichnung ist. Das sage ich mir immer wieder.

Die Berliner CDU verhinderte kürzlich, dass Sie die Louise-Schroeder-Medaille verliehen bekommen, eine Auszeichnung, die an Frauen für ihr Engagement für Freiheit und Demokratie, soziale Gerechtigkeit und die Gleichstellung von Mann und Frau vergeben wird. Die Begründung: kein Berlin-Bezug. Kränkt Sie das?

(lacht) Ich finde es eher lächerlich, mit wie wenig Sachkenntnis diese Entscheidung getroffen wurde. Ich habe 56 Jahre in Berlin gelebt. Menschenskinder! Fragen Sie, wer der Berliner vom Dienst ist, der überall angesprochen wird, endlich mal wieder berlinern und von der Mauer erzählen und von den Verwandten und von der Maueröffnung. Wir lebten direkt an der Mauer und führten das exponierte Berliner Leben! Außerdem bin ich als Berliner Abgeordnete in der Volkskammer gewesen und war als Berlinerin Ministerin bei de Maizière.

Gibt es Veranstaltungen, zu denen Sie unbedingt eingeladen werden wollen?

Nein, die gibt es nicht. Aber nicht, weil ich schon überall war, sondern weil wir keinen Fernseher zu Hause haben und ich die Dinger gar nicht kenne. Als ich im Krankenhaus war, habe ich mal den mit dem Maschendrahtzaun gesehen . . .

. . . Stefan Raab . . .

Ja. Meine Kollegen haben mir früher beim Frühstück immer über alle Programme erzählt, so dass ich immer bestens informiert war. Versteckte Kamera – das habe ich mir so was von schön vorgestellt! Viel schöner, als es in Wirklichkeit war. So ist es auch bei Waddehaddeduddeda gewesen. Erst dachte ich, dass muss ein toller Typ sein! Na ja, das relativiert sich, wenn man die Show gesehen hat.

„Ich will, dass es ein selbst bestimmtes Sterben gibt.“

Als größte Erfolge Ihrer Amtszeit bezeichnen Sie die zahlreichen Arbeitsförderungsgesellschaften und das Gleichstellungsgesetz zur Frauenförderung in der Gesellschaft. Was kam danach?

Da muss ich die Integration von Behinderten in die Gesellschaft erwähnen, unser „Investitionsprogramm Pflege“, das eine ortsnahe Unterbringung von Alten, Behinderten und chronisch psychisch Kranken ermöglicht. Hinzu kommt die Krankenhausplanung, von der ich jetzt auch profitiere. Und wir haben ein paar Polikliniken bewahrt. Da bin ich ganz stolz, weil das ein solcher Aufwand war! Der steht in keinem Verhältnis zu dem, was jetzt an Erfolg da ist, aber man ist ja froh, wenn man überhaupt einen positiven Ansatz in die Zukunft rettet.

Sie erklären auch heute noch jedem Westler den Osten. Nervt das nicht?

Ja und? Ich sage mir immer, es ist ein altes pädagogisches Prinzip, es immer wieder zu versuchen, bis man das entsprechende Ergebnis erzielt hat. Da habe ich eine Geduld, die reicht weiter als bis an mein Lebensende, das sage ich Ihnen. Wahrscheinlich weil ich das jahrelang geübt habe in der DDR: mit meinen drei Kindern oder der Diabetikerberatung, wo man immer wieder neue Patienten hatte und immer wieder das Gleiche erzählt hat.

Über welche Dinge im Westen schütteln Sie den Kopf?

Die grundsätzliche Wertschätzung von sozialer Gerechtigkeit und persönlicher Freiheit hat sich in Ost und West auseinanderentwickelt. Die Wertschätzung sozialer Gerechtigkeit ist im Osten auch nach der Wende, wo man doch nun endlich alle Möglichkeiten hat, seinen eigenen Erfolg zu haben, ganz hoch. Jetzt fängt dieser Stellenwert in Westdeutschland langsam an, erhöhte Priorität gegenüber der persönlichen Freiheit zu kriegen. Darüber freue ich mich sehr.

Und das Konsumangebot?

Ich bin ja ein ausgesprochener Konsummuffel. In ein KaDeWe zu gehen, wo es paar tausend Schinkensorten gibt, damit man, wenn man auf einer Südseeinsel war, den entzückenden abgehangenen Schinken von dort auch zu Hause kriegt, das halte ich für Völlerei. Abartig. Aber das darf ich gar nicht sagen als ehemalige Arbeitsministerin, weil mir dann gleich erzählt wird, was da für Arbeitsplätze dranhängen.