Puppen sind wir, am Draht gezogen

Danton gibt den Kasper, Saint-Just und Robespierre teilen sich den Teufel. Thomas Ostermaier inszeniert „Dantons Tod“ an der Berliner Schaubühne als Puppentheater der Revolution. Im Verlauf der Büchner-Aufführung setzt sich die Dekoration gegen die Politisierungssehnsucht des Hauses durch

von EVA BEHRENDT

Und jetzt Danton! Unverdrossen, wenngleich immer defensiver hat die Berliner Schaubühne in den vergangenen beiden Jahren versucht, sich als politisches Theater – selbstredend der Linken, zugleich aber der weitest möglich von 68 Entfernten – zu profilieren. Sei es durch zeitgenössische Stücke, sei es durch manifestöse Verkündungen und die Behauptung, man pflege intern einen irgendwie zeitgemäß angestrafften, nichtsdestotrotz kollektivistischen Stil, oder sei es durch den „Streitraum“, in den das Theater Repräsentanten linker Intelligenz einzuladen pflegt, zuletzt den greisen, resignierten Historiker Eric Hobsbawm. Im Gespräch mit ihm stellte Intendant Thomas Ostermeier fest, dass „Dantons Tod“ von der „erotischen Faszination des Umsturzes“ handele. Ob das wirklich zutrifft, wäre sicherlich noch ein, zwei Streiträume wert gewesen – egal: eine interessante, vielleicht begründbare und gewiss theatertaugliche These, die vorab neugierig machte, zumal vor dem Hintergrund der immer etwas anämisch wirkenden Repolitisierungssehnsucht am Lehniner Platz.

Dabei kann man es eigentlich kurz machen: Regisseur Ostermeier und seine Dramaturgen Roland Schimmelpfennig und Marius von Mayenburg haben Büchner gegenüber keine eigene Lesart anzumelden. Zum einen akzeptieren sie den dokumentarischen Gehalt des „Danton“ so weit, dass sie ihn nicht mit Gegenwart konfrontieren wollen. Zum anderen enthistorisieren sie das Stück dann aber doch, indem sie sich formal aufs Parabelhafte kaprizieren und damit auf eine Naivität, die, da bewusst gesucht, natürlich keine ist.

Jan Pappelbaums symmetrisches Bühnenbild zum Beispiel besteht aus einem abgestuften Holzpodest voller Falltüren, auf das mehrere Treppchen und Stege zulaufen. Alles ist aufs Gröbste, Einfachste gezimmert und geknüpft, ein nicht zuletzt im Text selbst beschworenes Puppentheater, in dem Danton den Kasper gibt, während sich Saint-Just und Robespierre den Teufel teilen. Gleichzeitig zitiert das Podest aber auch die zentral erhobene Hinrichtungsstätte, das Schulzimmer der Schreckensherrschaft als Wohlfahrtsausschuss, den Anschauplatz des Enthauptens, und obwohl hier keine Köpfe rollen, sondern Danton und Freundeskreis nur durch einen jeweils schwungvoll ins Gesicht geschütteten Blecheimer voll Theaterblut exekutiert werden, wird das Publikum auf diese Weise zum Volk, das sich ja meistens in die bescheidene Rolle der Hinglotzer, Maulhalter, aber auch Applaudeure fügt.

Zwölf Schauspieler spielen die vierzig Figuren aus dem Danton – und die Volksmassen gleich dazu – in üppigen Rüschenhemden und Gamaschen (Kostüme: Almut Eppinger), mit weiß überpuderten Gesichtern und künstlichen Zöpfen aus dem Fundus zwischen Märchentheater und Historiendrama. Dabei übernehmen André Szymanski, Thomas Bading und Ronald Kukulies unter anderem auch Frauenrollen, mit Brustprothesen und Perücken, diversen Miederwaren und unterschiedlichen Graden von somnambulem Ernst oder transiger Albernheit. Puppiger noch als die politischen Marionetten sind die Frauen der Revolutionäre: Die mütterliche Hure Marion (Bading), in deren Armen Danton sich zu vergessen sucht, besteht nur aus Röcken, Rumpf und Kopf; und wenn Julie (Szymanski) ihrem Gatten später in den Tod folgt, lenken zwei schwarze Henkersraben mit langen Stäben die Hand mit dem Giftfläschchen. Und natürlich – Fußnote – sind nicht nur die Verhaltensweisen konstruierte, fremdbestimmte, sondern auch die Körper und Geschlechter.

Ist das nun die Erotik des Umsturzes – oder nicht vielmehr die Erotik danach, als zivilisierte Künstlichkeit, als Luxus des Grotesken und Perversen? Der Rollentausch bleibt letztlich marginal und folgenlos, ein Deko-Element im braven, büchnertreuen Wechsel zwischen theoretischer Debatte über Politik, Moral und Tod und deren praktischer Kommentierung in burlesken Straßenszenen.

Dass Kay Bartholomäus Schulzes Danton den hedonistischen Schmuddelhippie und Tilo Werners Robespierre den karrieristischen Streber durchblicken lassen, überrascht nicht gerade – obwohl Werner auch den von der eigenen Konsequenz besessenen, radikalen Denkmärtyrer spielt, und Schulze zugleich den Zyniker, der im Lebensüberdruss den Klassenclown mimt und sich nur nach der Pause, in seinem großen Plädoyer aus eisernem Käfig, noch einmal zum Showdemagogen aufschwingen kann.

Was Ostermeier also gut drei Stunden lang obsessiv zeigt und illustriert, ist Dantons/Büchners Satz: „Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst.“ Darüber hinaus sieht man ein prima Ensemble, gefällig arrangiert und musikalisch begleitet (Jörg Gollosch). Die marxistische Müdigkeit von Eric Hobsbawm muss aus dem Streitraum auf die Schaubühne übergeschwappt sein.