In Britannien regiert die Seuche

Es hätte so schön sein können für Tony Blair: Opposition zerstritten, Wirtschaft floriert, 20 Prozent Vorsprung für Labour. Die Wahlverschiebung stört nur

aus Devon RALF SOTSCHECK

Hängt Tony Blairs politisches Schicksal an einem Fußballspiel? Der politische Kommentator Stan Hey befürchtet das. Er erinnerte an den Juni 1970, als die damalige Labour-Regierung unter Harold Wilson mit einem enormen Vorsprung in den Wahlkampf ging. Dann, am 14. Juni, unterlag die englische Fußball-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Mexiko dem bundesdeutschen Team mit 2:3, vier Tage später verlor Wilson die Wahl. Er räumte später ein, dass beide Ergebnisse durchaus zusammenhingen.

Eine ähnliche Gefahr droht seit gestern Tony Blair. Denn mit seiner Entscheidung, die Parlamentswahlen vom ursprünglich anvisierten 3. Mai wegen der Maul- und Klauenseuche auf den 7. Juni zu verschieben, liefert er sich den Fußballgeschicken der britischen Nationalelf aus. Diesmal muss die englische Mannschaft am Vorabend der Wahl in Griechenland gewinnen, um sich für die Weltmeisterschaft im nächsten Jahr zu qualifizieren.

Zwar sind nach offiziellen Meldungen bisher nur die ebenfalls ursprünglich auf den 3. Mai terminierten Kommunalwahlen auf den 7. Juni vertagt. Dass Blair auch die Parlamentswahlen schieben wird, gilt als bloße Formalität. Parlamentswahlen kann der Premierminister innerhalb eines Rahmens von fünf Jahren nach Gutdünken ausrufen.

Eigentlich hätte Tony Blair noch ein Jahr Zeit gehabt, doch er wollte unbedingt in diesem Mai wählen lassen, weil ihm die Umstände günstig schienen: Bei Meinungsumfragen liegt die Labour Party fast 20 Prozent vor den Tories, die Opposition ist zerstritten, und die ökonomischen Voraussetzungen stimmen. Diese Bedingungen können sich nur verschlechtern. Deshalb will man mit den Wahlen auf keinen Fall bis zum Herbst warten.

Die Verschiebung um einen Monat ist eine kosmetische Übung, um den Bauern zu signalisieren, dass man ihre Not ernst nimmt. Blair kann nicht damit rechnen, dass die Maul- und Klauenseuche in zwei Monaten besiegt ist. 1967 grassierte sie für mehr als ein halbes Jahr. Jack Straw räumte gestern ein, dass die Verlegung der Wahl „mehr mit der Sensibilität bei diesem Thema und mit der Stimmung in der Bevölkerung“ zu tun habe. Umfragen hatten ergeben, dass Labour bis zu 13 Prozent der Stimmen verloren gegangen wären, wenn Blair den 3. Mai als Termin durchgesetzt hätte.

Auch die Bauernverbände, die Bischöfe, die Tories und die Liberalen Demokraten hatten sich für eine Verschiebung der Wahlen ausgesprochen. Lediglich die Tourismusindustrie war strikt dagegen. Dadurch, so argumentierte man, würde im Ausland der Eindruck erweckt, Britannien stecke in einer tiefen Krise und sei als Reiseziel derzeit ungeeignet. Tourismusmanager schätzen, dass ihrem Industriezweig seit Ausbruch der Seuche 200 Millionen Pfund pro Woche durch die Lappen gehen.

Blair hat seine Entscheidung offenbar schon vor zwei Wochen getroffen, nachdem er Cumbria, die am stärksten von der Epidemie betroffene Grafschaft, besucht hatte. „Die Verzweiflung der Bauern hat ihn zutiefst geschockt“, sagte ein Regierungsberater, „das ist ihm sehr nahe gegangen.“ Blair hatte danach erklärt, dass er ab sofort persönlich den Kampf gegen die Maul- und Klauenseuche leiten würde. Und ein Wahlkampf ist nun mal nicht nebenbei zu führen.

Sein Kabinett war anderer Meinung. Fast alle Minister hatten den 3. Mai favorisiert, allen voran Blairs Stellvertreter John Prescott und Schatzkanzler Gordon Brown. Sie argumentierten, nur die rechte Presse, die Tories und die Bauern seien für eine Verschiebung. Ein Kabinettsmitglied beschuldigte gar die BBC, sich „in die Hände von Jünglingen mit einer vegetarischen Agenda begeben“ zu haben, die Berichterstattung über die Seuche sei übertrieben. Es sei doch lediglich ein Prozent aller Höfe von der Seuche betroffen. Noch vorigen Mittwoch erklärte Prescott, niemand in der Partei sei für eine Verschiebung. Die Labour-Generalsekretärin Margaret McDonagh wies darauf hin, dass die Partei bereits Millionen für Wahlkampfbroschüren und Plakate ausgegeben habe, die nun eingestampft werden müssen.

Gestern stellten sich jedoch alle geschlossen hinter Blair. Der Premierminister habe Stärke bewiesen und die Interessen des Landes vor die Parteiinteressen gestellt, sagte Nordirlandminister John Reid. Allerdings warnten sowohl die Kabinettsmitglieder als auch die Gewerkschaften, dass sie eine erneute Verschiebung nicht hinnehmen würden.

Es hat das Kabinett besonders gewurmt, dass Blair seine Entscheidung nur mit Hilfe seines Beratungsstabes getroffen hat, der von vielen Labour-Mitgliedern misstrauisch beäugt wird, weil er ihnen zu einflussreich erscheint. Darüber hinaus hat Pressesprecher Alastair Campbell bereits am Freitag das Boulevardblatt The Sun informiert (siehe Kasten), während Blair seinen Kabinettskollegen erst am Samstag Bescheid gab.

Der Premierminister hat nun bis zum 14. Mai Zeit, den Wahltermin offiziell zu bestätigen. An jenem Tag muss das Parlament aufgelöst werden, wenn am 7. Juni gewählt werden soll. Für Tony Blair ging es bei seiner Entscheidung um Schadensbegrenzung, profitieren kann er davon nicht. Wie auch immer die Wahlen ausgehen werden – irgendjemand wird die Frage stellen, ob Labour bei einer Wahl im Mai nicht mehr Sitze gewonnen hätte.