Viele Morde nach Vorgaben

■ Was ist „Theatersport“, was ist „Improvisationstheater“? Eine Beschreibung anhand eines launigen Abends mit „Inflagranti“

1997 fusionierten zwei Bremer Improvisations-Theater-Crews zu „Inflagranti“. Die sieben MitspielerInnen (inklusive Pianist und Conferencier) verdienen ihr Geld im so genannten Kleinkunstbereich, als Psychologe, Werbegrafiker und Kulturladenleiter. Seit fast zwei Jahren ulken sie jeden ersten Dienstag im Monat im Schnürschuhtheater. Immerhin vier Fünftel der Stühle waren vorgestern besetzt. Auf die Frage von Moderator Gunter Lösel, wie viele der Zuschauer „Theatersport“ – so der von Erfinder Keith Johnstone Ende der 50er geprägte Terminus technicus – bereits kennen, heben sich nur ein Drittel der Finger. Zu Beginn gibt es Rosen und/oder Schwämme zum handgreiflichen Äußern von Ge- bzw. Missfallen, drei Stück ne Mark. Zuschauer: „Warum keine faulen Tomaten?“ Lösel: „Hat die Gesundheitsbehörde was dagegen.“ Auch die Neulinge im Publikum sind offenbar in Mitmachlaune. Lösel: „Entschuldigen Sie sich am besten gleich mal bei ihrem Hintermann, für den Fall, dass Sie was Blödes sagen.“ Dann wird von Publikum und SpielerInnen die „Impro-Hymne“ gegrölt, „heben Sie dazu das rechte Bein, die Hand kommt ans Herz.“

Zwölf Spiele nach festen Regeln gibt es im Laufe des zweistündigen Abends. Zum Teil sind es von Johnstone erdachte Klassiker, weiterentwickelte Klassiker oder Erfindungen von „Inflagranti“. Einer der Klassiker heißt „Reigen“. Lösel fragt die SpielerInnen: „Was wollt ihr als Vorgaben?“ Einer antwortet: „Eine Leidenschaft.“ Das Publikum sucht: „Briefmarkensammeln.“ „Hasch rauchen.“ „Zu spät aufstehen.“ Lösel entscheidet: „Gut, nehmen wir Briefmarkensammeln.“

In anderen Stücken wird als „Vorgabe“ eine Charakterschwäche, ein Ort, Alter, Beruf, Jahreszeit und/oder Reiseziel gesucht, und oft ist der Gag, dass gestandene korpulente Mittvierzigerinnen zarte 17-jährige Gören spielen. Lösel fordert „Jetzt zählen wir ein.“ Publikum: „5,4,3,2,1.“ Und schon entwickelt sich eine Zweipersonengeschichte um den König aller Briefmarkensammler, der heimlich Bürobleistifte entwendet und dessen Mutter stolz ist auf die erste Breifmarkenausstellung des Sohns, etc. etc. „Reigen“ heißt dieses Spiel, weil etwa alle 20 Sekunden ein Spieler einen anderen ersetzt: Er nimmt dessen Geste auf, spielt aber eine andere Figur. Das Geschick beim Übertragen einer ausufernden Armbewegung von einer Szene in eine andere ist bemerkenswert, die Story aber ist doof.

Doch je länger der Abend, desto skurriler, verworrener und lustiger die Geschichten. Es kommt zum Mord an einem Museumswächter durch die Bundeskanzlerin, zur späten Vaterschaft eines gescheiterten Rocksängers, zur Eifersuchtsfarce um einen Schädelforscher etc. Und Lösel erzählt später, dass man dabei keineswegs eintrainierte, vorgeprobte Handlungspartikel zusammenbindet. „Das können wir uns gar nicht leisten. Wir haben viel Stammpublikum und das wäre sauer, wenn es Muster von Geschichten wiedererkennen würde.“ Manchmal ist die Kombinationsgabe der SpielerInnen absolut bewundernswürdig. Bei einer Bergtour fällt irgendwann der Satz vom „kleinen Schritt für den einzelnen und dem großen für die Menschheit“ und schwups fliegt einer von zwei Kontrahenten in eine Gletscherspalte – für ihn ein „kleiner Schritt“, für seinen Gegner eine große Erlösung.

Besonders lustig wird es, wenn Spielregeln bewusst arbeiten mit der Mangelhaftigkeit alles Improvisierten. Einmal wird zum Beispiel bei jedem Redebeitrag die Anzahl der Wörter neu definiert, was dazu führt, dass die Spieler abgehackt wie eine Computerstimme reden; schließlich müssen sie ja heimlich mitzählen. Im Spiel „Synchronisation“ plappern zwei unsichtbare Schausspieler eine Geschichte zusammen und andere müssen sie spielen, mit den passenden Mundbewegungen – was natürlich todsicher gelegentlich schief geht. Und in einem weiteren Sketch entwickelt sich eine Liebesgeschichte am Küchenherd. Und alle 30 Sekunden werden Sätze eingeworfen, die das Publikum in der Pause auf Zetteln notierte. So kommt es, dass auf einer Geburtstagskarte kurz und bündig der Satz aus dem Publikum steht: „Achtung, ich lasse jetzt einen Furz.“ Aufgabe der SpielerInnen ist es, sich aus diesen logischen Desastern möglichst geschickt herauszuwinden.

Bei allem herrscht eine klasse Laune im Schnürschuhtheater. Natürlich sind die Storys krude Kombinationen von Klisches um Ehrgeiz, Eifersucht etc. und keine tiefenpsychologischen Meisterstücke. Aber Johnstones Anliegen ist wohl erreicht: Mut finden, sich in aberwitzige Erzählstränge hineinwinden und so die Kreativität immer schön lockern. bk

Auch für Feten zu buchen unter 5577138. Kurse gibts bei der VHS und witzigerweise beim Unisport.