„Sauberes“ Japan

Tokios Bildungsministerium schließt sich revisionistischer Geschichtsschreibung an und verärgert die Nachbarländer

YOKOHAMA taz ■ Kenichi Y. nennt sich „Firmenberater“. Mit seinen blondvioletten Haarsträhnen und einer Drachen-Tätowierung, die vom Bauch über die Schultern bis zum Gesäß reicht, gilt der 29-Jährige im Hafenviertel von Yokohama als aufsteigender Führer der Rechtsextremisten. Seine 25-köpfige Gruppe namens „Kohkenkai“ regiert das Viertel und Kenichi kurvt regelmäßig im Lautsprecherwagen durch die Millionenstadt und beschallt die Passanten mit martialischen Militärhymnen. Dazwischen schmettert er höhnische Attacken gegen die Regierungen Südkoreas und Chinas. Die protestierten nämlich gegen die Neuauflage revisionistischer Geschichtsbücher in Tokio. Das empfindet Kenichi als Einmischung in innere Angelegenheiten.

In der Küche seiner Wohnung in einem heruntergekommenen Plattenbau am Rande des Hafenviertels zeigt er seine Lieblingslektüre: drei Mangabände, gezeichnet und mit Kurztexten versehen von Yoshinori Kobayashi, Japans populistischem Vordenker revisionistischer Geschichtsschreibung. In den Werken „Über den Krieg“ und „Über Taiwan“ verherrlicht Kobayashi den pazifischen Krieg (1931 bis 45) als Befreiungskrieg der Japaner gegen den westlichen Kolonialismus und betont die positiven Aspekte des Beutezugs in Asien. Kobayashi verwirft das Massaker von Nanjing, die Rekrutierung asiatischer Frauen als Zwangsprostituierte der Armee und die Vivisektionen und biologischen Experimente an chinesischen und russischen Kriegsgefangenen der Einheit 731 als Lügen. Genau diese Verbrechen werden in einer jetzt vom Bildungsministerium genehmigten Neuauflage der Geschichtsbücher für die Mittelstufe wieder beschönigend dargestellt. Denn die 1996 gebildete Gruppe „Schafft eine neue Geschichte“ revisionistischer Historiker unter Führung von Kanji Nishio hat sich mit ihrer Auffassung beim Ministerium durchgesetzt.

Enttäuscht über diese Entscheidung ist eine Historikergruppe um Professor Saburo Ienaga, die seit 1965 für eine ehrlich aufgearbeitete Geschichtsschreibung vor Gericht kämpft. 1997 konnte die Gruppe sich durchsetzen, muss aber nun mitansehen, wie ihre Bemühungen rückgängig gemacht werden. Akimasa Miyake, Geschichtsprofessor der Universität Chiba, ist beunruhigt: „Seit Mitte der 90er-Jahre verbreiten sich Revisionismus und Nationalismus stetig.“

Miyake verweist auch auf Gerichtsentscheide, die Entschädigungen für Kriegsopfer kategorisch ablehnen. Zudem vertrauen immer mehr jüngere Politiker der regierenden Liberal-Demokratischen Partei (LDP) auf einen nationalistischen Kurs, den der rechtspopulistische Tokioter Bürgermeister Shintaro Ishihara erfolgreich vorgibt. Die außenpolitischen Schäden sind unübersehbar. Die freundschaftliche Annäherung an Südkorea kühlt sich merklich ab und könnte sogar die gemeinsame Austragung der Fußballweltmeisterschaft 2002 beeinflussen. Die ohnehin angespannten Beziehungen zu Peking befinden sich am Nullpunkt, und eine Normalisierung der Beziehungen zu Pjöngjang wird noch schwieriger.

Kenichi und seine Leute finden das toll. Schließlich lebten in Japan jetzt schon zu viele illegale koreanische und chinesische Migranten, die das Land „verschmutzten“. Nach solch rassistischen Sprüchen braucht Kenichi sich nicht vor der Polizei zu fürchten. ANDRÉ KUNZ