: Polen von EU reingelegt
Die EU hat die Länder Osteuropas zu Risikogebieten für BSE erklärt und beschränkt die Einfuhr von Fleisch. In Polen sehen viele diese Regelungen als Schikane gegen die heimische Landwirtschaft
aus Warschau GABRIELE LESSER
Hat die EU BSE-verseuchtes Tiermehl nach Polen exportiert? In Polen glauben viele inzwischen an eine „EU-Verschwörung“, und der Landwirtschaftsminister ist empört: „Vor einem halben Jahr noch habe ich die Grenzen für Tiermehl aus der EU zugemacht, damit wir hier kein BSE bekommen. Dann musste ich auf Druck der EU die Grenzen wieder öffnen, weil das Tiermehl angeblich geprüft und unbedenklich war. Und nun behauptet die EU, dass genau dieses geprüfte Tiermehl Polen zu einem BSE-gefährdeten Land macht.“
Tatsächlich haben am Beginn der Woche EU-Veterinäre auch Polen auf die Liste der höchsten BSE-Gefahrenstufe gesetzt (siehe Kasten). Sie wollten der polnischen Regierung nicht glauben, dass das Tiermehl seit 1997 lediglich an Hühner, Gänse und Schweine verfüttert worden sei, nicht aber an Rinder. Zwar wurde 1997 ein entsprechendes Verbot in Polen erlassen, doch sei es nie kontrolliert worden. Polen hat in den letzten zehn Jahren 1,8 Millionen Tonnen Tiermehl und über 90.000 Zuchtrinder aus EU-Staaten importiert, die inzwischen BSE-Fälle melden. Deshalb sei Polen heute zu den Hochrisiko-Ländern der Kategorie III zu rechnen. Polen hatte alles versucht, um in die Risikogruppe II (das Auftreten von BSE ist unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen) aufgenommen zu werden.
Doch auch das hätte Polen nicht davon befreit, künftig das so genannte Risikomaterial, also vor allem Gehirn und Rückenmark, vollständig vom Fleisch zu trennen und zu vernichten. Denn seit 1. April darf überhaupt nur noch Fleisch in die EU importiert werden, das gemäß den neuen EU-Sicherheitsbestimmungen geschlachtet wurde. Dies wäre für Polen auch dann verbindlich geworden, wenn das Land nicht in die Risikogruppe III eingestuft worden wäre.
Dennoch gibt es für Artur Balasz keinen Zweifel: „Die Entscheidung der EU-Experten ist allein politisch begründet. Sie soll die polnischen Exporteure vom europäischen Markt ausschließen.“ Die konservative Tageszeitung Zycie, die titelte: „Europäische Verschwörung!“, zitierte den Minister mit einem Wutausbruch: „Das ist eine unehrliche und ungerechte Entscheidung. Irgendjemandem scheint daran zu liegen, dass unser Land auf dem EU-Markt preislich nicht konkurrieren kann.“
Denn konkurrenzfähig ist polnisches Fleisch nicht, wenn es systematisch BSE-getestet werden muss. Den polnischen Staatshaushalt würde dies mit zusätzlichen 170 Millionen Zloty belasten (rund 85 Millionen Mark). „Die EU hat nicht zugelassen, dass in die Expertengruppe ein Pole aufgenommen wurde, und sei es nur als Beobachter“, klagte Minister Balasz weiter und setzte vieldeutig hinzu: „Ganz offensichtlich haben sie etwas zu verbergen.“
Insgesamt fühlen sich die Polen von der EU und deren angeblich so vertrauenswürdigen Zertifikaten systematisch hintergangen und in die Falle gelockt. „Brüssel geht es gar nicht in erster Linie um die Gesundheit der Menschen“, regt sich ein hoher Staatsbeamter auf, „das ist ein Handelskrieg. Die deutschen Züchter wollten ihr BSE-verdächtiges Fleisch ja sogar als humanitäre Spende an hungerleidende Kinder in Nordkorea schicken.“ Viele sind davon überzeugt, dass die EU absichtlich BSE-verseuchtes Tiermehl „mit Zertifikat“ nach Polen exportiert habe, um die polnische Landwirtschaft vor dem EU-Beitritt zu schädigen.
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