Die Bauern und das kranke Vieh

„Es ist, als ob das ländliche Britannien gestorben ist“, sagt ein Psychiater aus Devon. Nur in den Schlachthäusern der Grafschaft herrscht reger Betrieb

aus Tavistock RALF SOTSCHECK

Es sieht aus wie ein Gemälde des englischen Landschaftsmalers John Constable: sanfte grüne Hügel, ein Tal, durch das ein Bach fließt, frei laufende Schafe. Doch im Dartmoor-Nationalpark in der südwestenglischen Grafschaft Devon darf man nicht über die Wiesen und Wege laufen. Wer es trotzdem tut, riskiert eine Geldstrafe in Höhe von 5.000 Pfund.

Der Nationalpark, eine der wichtigsten Touristenattraktionen in Devon, ist fast 600 Quadratkilometer groß. Im höher gelegenen Teil Dartmoors herrscht dichter Nebel. Das Two Bridges Hotel, eine Pferdekutschenstation aus dem 18. Jahrhundert mit angeschlossenen Reitställen, ist bis auf weiteres geschlossen. Nur einen Steinwurf entfernt, auf der Dunnabridge Farm, ist vor vier Wochen der erste Seuchenfall in Dartmoor aufgetreten. Die 800 Schafe und 170 Rinder wurden sofort getötet, ebenso die Tiere auf der Nachbarfarm. Die 46.000 frei laufenden Schafe und Rinder auf dem Gemeindeland im Nationalpark hat man bisher am Leben gelassen, weil sie – so hofft man wenigstens – nicht in Kontakt mit den infizierten Tieren gekommen sind. Die lebten in einer Umzäunung. Marion Winsor, die Bäuerin auf der Dunnabridge Farm, sagt: „Wir haben alles getan, um die Seuche von uns fern zu halten. Wir haben uns auf unserem Hof verbarrikadiert und seit Wochen keinen Menschen gesehen.“

Devons Bauern, ohnehin meist Eigenbrötler, sind seit Ausbruch der Epidemie noch isolierter. In Devon gab es bisher 96 Seuchenfälle. Wer in einer Sperrzone lebt, soll seinen Hof nicht verlassen und keinen Besuch empfangen. Eine Wohltätigkeitsorganisation hat einen Telefondienst zur Depressionsberatung eingerichtet, der rund um die Uhr erreichbar ist. „Die Maßnahmen gegen die Seuche haben etwas Mittelalterliches an sich und eine dramatische Ähnlichkeit mit der Pest“, sagt der Psychiater Bob Davies aus Devon. „Das ohnehin bestehende Problem der sozialen Isolation wird durch die Seuche noch verschlimmert. Es ist, als ob das ländliche Britannien gestorben ist.“

Ian Turner meint, das sei durchaus wörtlich zu nehmen. „Alle elf Tage bringt sich ein Bauer um“, sagt er. „Und diese Zahl stammt aus der Zeit vor der Maul- und Klauenseuche.“ Neulich bei einem Treffen des Bauernverbandes habe man eine Gedenkminute für vier Bauern aus dem Ortsverband eingelegt, alle unter 45, die sich seit der letzten Sitzung vor zwei Monaten das Leben genommen haben. Turner stammt aus Gulworthy in der Nähe der Kleinstadt Tavistock. Der 42-jährige, ein großer, kräftiger Mann mit dunkelblonden Locken, betreibt einen kleinen Hof mit 110 Kühen. „Bauernhöfe wurden immer von einer Generation auf die nächste vererbt“, sagt er und schiebt sich die Tweedmütze aus der Stirn. „Wenn es mit deinem Hof bergab geht, fühlst du dich als Versager. Ich habe meinen drei Söhnen geraten, sich andere Jobs zu suchen.“

Die Maul- und Klauenseuche könnte der Sargnagel für die britische Viehwirtschaft sein, die ein Drittel der landwirtschaftlichen Produktion ausmacht, glaubt Danny Gabay von der Globalfinanzfirma JP Morgan. „Man kann sich kaum vorstellen, was die europäischen Verbraucher jetzt dazu verleiten könnte, britische Ware zu kaufen.“ 76 Prozent Großbritanniens sind landwirtschaftliche Nutzfläche, doch nur 2 Prozent der Bevölkerung arbeiten in diesem Bereich und erwirtschaften 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Großbritannien ist zu 50 Prozent Selbstversorger.

Schuld ist die Überproduktion

„Das Einkommen der Bauern ist seit 1995 um mehr als 60 Prozent gesunken“, sagt Sally Turner, Ians Frau. „Zum einen liegen die Marktpreise für Fleisch, Milch und Korn heute niedriger, zum anderen werden die EU-Subventionen in Euro ausgezahlt, die umso weniger wert sind, je stärker das Pfund Sterling ist. Überall entstehen Kosten. Die Subventionen sind längst ausgegeben, bevor sie überhaupt ausgezahlt werden. Wir stehen alle bei den Banken tief in der Kreide.“

Die zierliche Enddreißigerin sieht den Hauptgrund für die Krise nicht in den Seuchen. „Es arbeiten zu viele Menschen in der Landwirtschaft, und sie produzieren zu viel“, meint sie. Die Bauern erhalten Zuschüsse, um Lebensmittel zu produzieren, die niemand will. Die Zuschüsse werden nach Anzahl der Tiere berechnet, so dass ein Anreiz besteht, die Herden immer weiter zu vergrößern. Nur – was macht man mit den Tieren dann? „Die Bauern bringen ihr Vieh jede zweite Woche auf den Markt und verkaufen vielleicht ein Schaf“, sagt Sally Turner. „Den Rest, 30 oder 40 Stück, verschenken sie. Sie sind nichts wert. Schon lange vor dem Ausbruch der Maul- und Klauenseuche haben die Bauern ihre Tiere umgebracht, um die Kosten für den Transport zum Viehmarkt zu sparen. Es gibt im ganzen Land riesige Tiergräber.“

Die Koppelung von Subvention und Produktion habe dazu geführt, dass Umweltaspekte nicht zählen, sagt Ian Turner: „Die Flüsse sind mit Düngemitteln verseucht. In der Situation, in der die Bauern sind, ist kein Raum für Umweltaspekte. Es geht ums Überleben.“ Das Durchschnittseinkommen der Kleinbauern liegt unter 8.000 Pfund im Jahr. Doch viele verdienen gar nichts.

„Im Book of Lamerton heißt es“, sagt Ian Turner, „dass es drei Arten gibt, um Bankrott zu gehen: schnelle Frauen, langsame Pferde und grasende Rinder. Frauen und Pferde machen mehr Spaß, aber Rinder sind die sicherste Art.“ Turner hat schon lange gespürt, dass sich das Verhältnis zwischen Bauern und Stadtbevölkerung gewandelt hat. „Die Briten, vor allem die Engländer, hatten stets eine romantische Beziehung zum Landleben, es war Teil ihrer kulturellen Identität“, sagt er.

„Doch dieses Landleben, wie Constable es gemalt hat, existiert nicht mehr. Old MacDonald, der Farmer aus dem Kinderlied, ist seit BSE verschwunden. Stattdessen hat sich bei den Städtern das Bild vom gewissenlosen Agrar-Industriellen festgesetzt.“ Heutzutage kümmere sich weder die Regierung noch die Stadtbevölkerung um die Not der Bauern. Es bedurfte einer Krise wie der Maul- und Klauenseuche, die sogar die Verschiebung der Wahlen verursachte, um eine Diskussion über die Lebensmittelproduktion auszulösen, sagt Sally Turner. Aber was ist die Alternative? Die Umstellung auf organische Produktion? „Der Regierungsfonds für die Umstellung auf organische Produktion ist ausgeschöpft“, sagt sie lapidar.

Die Seuche hat ihre Spuren in der ganzen Grafschaft hinterlassen. Hatherleigh, ein tausend Jahre alter idyllischer Marktflecken mit schmalen, steilen Gassen und strohgedeckten Häusern, ist wie ausgestorben. Der große Marktplatz neben der Hauptstraße ist abgesperrt, am Metallgitter hängt ein Schild: „Betreten verboten. Maul- und Klauenseuche.“ Normalerweise wird hier dienstags der Viehmarkt abgehalten, 500 Rinder und 2.000 Schafe wurden jede Woche verkauft. Die Bauern kamen aus dem ganzen Norden und Westen der Grafschaft, doch seit Ausbruch der Seuche Ende Februar sind Tiertransporte verboten. Auch die Bauernmärkte mit Direktverkauf sind abgesagt.

Nur im Schlachthaus nebenan herrscht reger Betrieb. Lastwagen um Lastwagen mit Kühen biegt von der Schnellstraße A 386 in die Auffahrt ein, die mit desinfizierenden Strohballen ausgelegt ist. Im Bridge Inn, einem historischen Pub mit niedriger Decke und einem Kamin, in dem ein Holzfeuer brennt, klebt ein Plakat des Bauernverbandes: „Keep Britain farming.“ Doch Graham Parker sieht das Ende der britischen Landwirtschaft gekommen. Er ist 50, seine Familie betreibt seit vier Generationen einen Schweinemastbetrieb in Hatherleigh. Vor neun Tagen gab es einen Seuchenfall in Monkokehampton, drei Meilen von Hatherleigh entfernt.

Die Preise verfallen

Schon vorher hat er sich nur mit Nebenjobs auf Baustellen über Wasser gehalten, im Januar musste er das Haus seiner Mutter verkaufen. Die Mutter wohnt nun bei ihm und seiner Frau, Kinder haben die beiden nicht. „Zum Glück“, sagt Parker. „Wir könnten ihnen nichts bieten.“ Der Hof ist 300 Hektar groß, die Parkers besitzen 130 Schweine und 50 Rinder. Sie bauen Getreide und etwas Gemüse für den eigenen Verbauch an. „Vor fünf Jahren bekam ich 125 Pfund für eine Tonne Getreide“, sagt Parker, „heute ist es nicht mal die Hälfte. Ein Schwein mit 95 Kilo Lebendgewicht brachte damals 90 Pfund ein, heute sind es 65. Gleichzeitig haben sich die Kosten für Benzin und für Düngemittel fast verdoppelt.“

Er bekommt Geld von der Regierung, damit er zehn Prozent seines Landes unbewirtschaftet lässt: „So weit ist es gekommen, dass man Geld dafür bekommt, nichts zu produzieren“. Die Parkers erhalten Zuschüsse für die Reparatur der Mauern und Zäune, für den Erhalt von Bäumen und Heideland. „Aber der Laden im Dorf, der Ansichtskarten von der wunderschönen Landschaft verkauft“, sagt Parker, „verdient mehr damit als wir, die dafür sorgen, dass diese Landschaft so fotogen ist.“