„Outing ist schwer“

Kinder und Jugendliche mit Psychosen haben keine Lobby. Umso wichtiger, dass es inzwischen einige engagierte Schülerzeitungen gibt. Ein Gespräch mit „Klapse“-Gründerin Marie-Luise Knopp

Interview von CORNELIA KURTH

Marie-Luise Knopp, 58, war Realschullehrerin für Deutsch und Geschichte, bevor sie eine Zusatzausbildung in Tiefenpsychologie machte. Seit zwanzig Jahren unterrichtet sie an der Alfred-Adler-Schule in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Düsseldorf. 1991 initiierte sie die Schülerzeitschrift „Klapse“ ( www.klapse.de ) und gab später drei Bücher mit Texten junger Patienten heraus, in denen diese ihr Leben mit der Psychose und anderen psychischen Krankheiten schildern. Sie begleitet die Jugendlichen auch auf ihren Lesereisen.

taz: Die Klapse mit ihrer Auflage von 1.200 Stück wird auch außerhalb der Klinik verkauft, das von Ihnen herausgegebene Buch „Wenn die Seele überläuft“ erscheint bereits in vierter Auflage. Wie geht es den jungen Autoren mit dieser Öffentlichkeit?“

Marie-Luise Knopp: Anfangs gab es große Probleme. Selbst wenn die Schüler bereit waren, mit ihrem richtigen Namen zu unterzeichnen, meldeten oft die Eltern größte Bedenken an – aus Angst, dass die sehr persönlichen Texte die Zukunftschancen ihrer Kinder verschlechtern könnten. Manchmal haben wir nicht nur die Namen verändert, sondern sogar das Geschlecht des Schreibers, damit selbst die Eltern nicht erkennen konnten, wer der Autor eines brisanten Textes war. Andererseits aber sind die einzelnen Geschichten von vornherein für eine Öffentlichkeit außerhalb der Psychiatrie gedacht gewesen. Viele entstanden für die Klapse, die mit Absicht so einen selbstbewusst provozierenden Namen trägt.

Wie erlernen Ihre Schüler dieses Selbstbewusstsein?

Für die Schüler hier ist es ein ständiges Thema, wie sie später damit umgehen sollen, dass sie manchmal viele Monate in der Psychiatrie verbracht haben. Indem sie über sich und ihre Situation schreiben und bei den Lesungen persönlich präsent sind, treten sie als Botschafter auf gegen die Ausgrenzung von psychisch Kranken. Auf diese Art versuchen wir, den Jugendlichen Mut zu machen, auch öffentlich zu ihrer Zeit in der Psychiatrie zu stehen.

Offenheit also als oberste Maxime?

Wenn es um Bewerbungen geht, basteln wir oft einen Lebenslauf zusammen, der nichts über die Krankheit verrät. Die psychisch kranken Jugendlichen haben keine Lobby, wie etwa krebskranke Kinder. Das Outen ist so schwer.

Wie reagieren denn die Zuhörer bei den Lesereisen?

Erwachsene Zuhörer – Studenten zum Beispiel – sind sehr offen und stellen auch Fragen. Bevor wir, wie jetzt verstärkt im Rahmen der Antistigmakampagne, in den Schulen gelesen haben, kamen kaum Schüler zu den Lesungen, obwohl es doch Gleichaltrige sind, die ihre Texte vorstellen. Sie trauten sich nicht, und man merkt auch in den Diskussionen, dass es besonders schwer ist, wenn Schüler sich in den Texten wieder erkennen, wenn es um Essstörungen, um Selbstmordgedanken, um Depressionen geht.

Nicht wenige der Texte haben literarische Qualität. Hätten Sie gedacht, dass psychisch kranke Jugendliche so gut schreiben können?

Ja, das stellte sich schnell heraus. Viele der Schüler sind sehr kreativ und durch ihre Therapie wesentlich weiter in ihrer Entwicklung als ihre Altersgenossen. Es ist ja nicht so, dass psychisch kranke Menschen ununterbrochen in der Krise stecken. Die Texte waren keine spontanen Seelenergüsse, sondern von vornherein mit Blick auf die Leser geschrieben. Mehr als andere Schülerzeitungen sollte die Klapse auch Menschen außerhalb der „Klapse“ erreichen.

Ist das „kreative Schreiben“ auch als Mittel der Therapie gedacht?

Ja natürlich, wie in anderen Zusammenhängen auch. Ich habe das Schreiben von Anfang an auch als eine Möglichkeit der Selbstreflexion eingesetzt, die durch den literarischen Anspruch zugleich eine gewisse Schutzzone schafft. Die Geschichte stellt sich vor den Autor. Die Schreiber können auf diese Weise Abstand gewinnen. Und auch das Lesen auf unseren Lesereisen empfinden einige immer wieder als Therapie.

Ist die Klapse einzig in ihrer Art?

In gewisser Weise schon. Sie war in Deutschland die erste Schülerzeitung, die in der Psychiatrie entstand, und musste sich durch jede Menge Skepsis durchkämpfen. Inzwischen aber gibt es schon einige Nachfolger in anderen Kliniken, und ich könnte mir vorstellen, dass solche Psychiatrieschülerzeitungen irgendwann genauso selbstverständlich sind wie andere Schülerzeitungen auch.

Literatur: Marie-Luise Knopp/Klaus Napp (Hrsg.): „Wenn die Seele überläuft. Kinder und Jugendliche erleben die Psychiatrie“, 216 Seiten. Marie-Luise Knopp/Barbara Heubach (Hrsg.): „Irrwege, eigene Wege. Junge Menschen erzählen von ihrem Leben nach der Psychiatrie“, 200 Seiten. Beide Bücher sind im Psychiatrie-Verlag, Bonn, erschienen und kosten jeweils 24,80 Mark.Die nächste Lesung findet am Donnerstag, den 10. Mai, um 18 Uhr in der Uni Köln statt. Der genaue Ort steht noch nicht fest