Persönlich gerne, geschäftlich lieber nicht

■ Das anerkannte Selbsthilfeprojekt JES braucht neue Räume. Nur – als Nachbarn möchte sie keiner haben

„Dann kann ich den Laden dicht machen“, sagt der Mann und schaut nach draußen, auf Asphalt und mickrige Bäume, auf die Straßenbahn, die hier auf ihrem Weg zum Bahnhof vorbeikommt. Zum Bahnhof, wo die Junkies stehen.

Junkies. „Die sind natürlich kein schöner Anblick“, sagt Sabine Lahmer vom Verein JES. Aber dass einer deswegen sein Geschäft schließen müsste – eher nicht. Der Mann mit dem Laden bleibt jedoch dabei: „Dann kann ich den Laden dicht machen.“ Sein Bistro auf der Ecke mit Kaffee, Baguettes und Spaghetti wäre „dann“ der Nachbar von JES. Das steht für „Junkies, Ehemalige und Substituierte“ und ist eine Selbsthilfegruppe, eingebunden in ein bundesweites Netzwerk. In dem leerstehenden Laden nebenan mit dem lachsrosa Innen- und knallblauen Außenanstrich direkt gegenüber der Musikbibliothek Außer der Schleifmühle wollte JES einziehen. Abgesagt, der Beirat Mitte hat am Montag dagegen entschieden (die taz berichtete).

„Wenn's so gewesen wär', wär's halt so gewesen“, sagt die Frau im Second Hand nebenan und zuckt die Schultern, „die gibt's nunmal, da muss man mit leben. Fertig.“ Alle anderen – die Frau vom Second Hand drei Häuser weiter, der Kellner vom syrischen Restaurant, der Mann vom Orthopädie-Geschäft – sie alle wollen die Initiative lieber nicht in ihrer Nähe haben. „Menschlich okay, aber geschäftlich ein großes Fragezeichen“, sagt die Frau vom anderen Second-Hand. „Wir haben hier viele ältere Leute, die kämen dann bestimmt nicht mehr“, sagt der Orthopädie-Mann. „Schlecht fürs Geschäft“, sagt der Wirt. Und fast alle sprechen dann von ihren Kindern.

Dabei ist JES kein Junkie-Treff. „Wir sind eine Selbsthilfegruppe regelmäßiger, gelegentlicher, substituierter und ehemaliger Drogengebraucher“, beschreibt sich JES in einem Flyer. In ihrem jetzigen Domizil in der Findorffstraße gegenüber dem Schlachthof bieten sie Hilfe unterschiedlichster Art und betreiben ein Café. Im September müssen sie ausziehen – die Miete sei zu teuer, argumentiert das Sozialressort und der Vermieter hat mit dem Haus eh' anderes vor.

Bei JES Drogen zu nehmen oder gar zu dealen, ist tabu. Es seien, beschreiben Marco Jesse und Sabine Lahmer von JES, vor allem Substituierte, die zu ihnen kämen.

Aber an die Schleifmühle sollen sie nicht, und Ortsamtsleiter Robert Bücking kann das gut begründen. Er erzählt, dass vor etwa zehn Jahren das Quartier „regelrecht abgesoffen“ sei vor Junkies. Dass der kleine Beirat Mitte nicht Drogenpolitik entwerfen kann. Dass es eine „klare Ansage“ gebe, auf die Dezentralisierung der Hilfsangebote zu setzen, und im Viertel sind nun mal schon einige. JES befände sich an der Schleifmühle genau auf der Junkie-Route zwischen Bahnhof und Sielwall. „Es ist völlig unvermeidlich, dass JES unter einem unglaublichen Druck der Szene wäre. Die würden das überrennen.“

Dieses Argument ist bei den JES-Leuten anders angekommen: „Entmündigt“ sei er sich in der Beiratssitzung vorgekommen, erzählt Marco Jesse, „als müsste man uns vor uns selbst schützen.“

Robert Bücking ist unterdessen genervt, dass es so aussieht, „als seien wir diejenigen, die JES das Genick brechen.“ Mit Stimmen von CDU und AFB hatte der Beirat den JESlern die Absage erteilt. Mit je nur einer Stimme waren SPD (Ja) und Grüne (Enthaltung) anwesend.

Nach Meinung Bückings und auch der Beiratssprecherin Ulrike Hiller (SPD) hat die Sozialbehörde die Verantwortung für den Standort zu übernehmen. Die „komplette Indifferenz“ des Ressorts gegenüber JES findet Bücking „dem Projekt, das sehr wertvolle Arbeit macht, überhaupt nicht angemessen.“ Vom Sozialressort gibt es indes nur die Aussage, solange JES ohne Räume sei, gebe es keine Förderung. Mit neuer Adresse soll es auch wieder Geld geben. Privat lasse sich ihre Arbeit nicht machen, sind sich die JES-Leute sicher. Und noch etwas: „Es ist schon jetzt schwer, sich zu motivieren“, sagt Marco Jesse. Die Arbeit in der Gruppe werde allenfalls ideell anerkannt. Und ohne Räume werde es „noch schwieriger sich zu motivieren.“ sgi