berlin-buch-boom
: Krimis von Bernhard Thieme und Martin Heidegger

Das Berlin-Ding

Ein Buch ist ein Tatort, besonders wenn es ein Krimi ist. Und wenn am Tatort ein Satz wie dieser: „Hinter jedem Ding steht ein Mensch“, kursiv gedruckt ist, dann hat man hier die Handschrift des Täters. Denn Bernhard Thieme und seine Figurendinger wissen: „Die Handschrift eines Mörders ist immer gleich.“ Und auch das verdient, kursiv gesetzt zu werden.

Hinter jedem Ding steht also ein Mensch, und hinter manchem Menschen ein anderer Mensch mit einem Ding, etwa einer Schlinge. An diesem Schlingending hinterlässt der Mensch beim Knoten seine Handschrift, steckt den durch die Schlinge mittlerweile zum Ding gewordenen Menschen, gleich zwei davon, in eine Kiste und verlädt die Kistendinger von Bonn nach Berlin. Dort wartet bereits ahnungslos ein wieder anderer Mensch, der unweigerlich Heribert Kessenbroich heißt und dessen Maxime schon vor dem Fund der Menschendinger die war: „Hinter jedem Ding steht ein Mensch.“ Ein Alltagsaphorismus, wie man ihn von Streichholzbriefchen und Zuckertütchen kennt und der bei geduldigem Hinsehen eine Schwindel erregende philosophische Tiefe erreicht.

Ist denn nicht „Hinter jedem Ding steht ein Mensch“ das präzise kriminalistische Konzentrat von Heideggers den Dingen abgerungener Fundamentalontologie? Dort ist das Ding das Zeug, es steht in einem Zeugzusammenhang. Von dort aus verweist es, wie das bei den Philosophen so ist, auf etwas außer sich, sein Woraus und sein Wozu, nämlich das Werk.

Und am Ende dieser nur scheinbar brotlosen philosophischen Nahrungskette steht auch beim alten Heidegger unweigerlich der Mensch: „Mit dem Werk begegnet demnach nicht allein Seiendes von der Seinsart des Zuhandenen, sondern auch Seiendes von der Seinsart des Menschen, dem das Hergestellte in seinem Besorgen zuhanden wird.“ Man merke sich „Ding“ und „Mensch“ und lese weiter: „In eins damit begegnet die Welt, in der die Träger und Verbraucher leben, die zugleich die unsere ist.“

So ist es. Der Tathergang ist schnell rekonstruiert: Ein bislang auf Sachbücher spezialisierter Verlag – der sich nach Berlin und Brandenburg benennen wollte, aber nur bis Nordhessen gekommen ist: be.bra – braucht ein „Belletristiksegment“. Weil man eh schon ist, wo alle Belletristik sein will, also in Berlin, springt man auf den dort im Kreis fahrenden Zug auf und stiftet einen der schon im Haus befindlichen Autoren an: Schreib doch mal einen Berlin-Krimi. Tut der, macht der, kann der. Bernhard Thieme kennt sich aus in Berlin. Er weiß, wo es Cafè freddo gibt und wo nur kalten Kaffee. Er weiß, dass hinter einem Weinding, einem 95er Montalcino etwa, mitunter „die ganze Verheißung“ steht, „die Anne Soltau heißt“ oder auch anders. Thieme hat sich umgeschaut in dieser Welt, die zugleich die unsere ist, und schmeichelt uns mit kuscheliger Ortskenntnis, vor und nach der Wende, Westen, Osten, alles Drum und Dran. Den Montaltino kredenzt er uns im „Pane e Rose“ im Bötzowviertel, die Spur des Mörders führt in die Hackeschen Höfe und in eine Zeit, als dort die Salumeria noch „Versorgungsdepot“ hieß.

In dieser Welt berlinert’s, man sagt Sachen wie „Kopp is tipptopp“, nennt „die Dinge beim Namen“ und findet „schnell eine gemeinsame Sprache“, in der man dann feststellt, dass eine Frau „nur in den Armen des Geliebten und des Todes wirklich sie selbst ist“.

Wie seine Figurendinger ist Thieme ein Mann der Tat, ein Täter also, der dem zuhandenen Ding das Werk schon ansieht. Kein Unterlassungsdelikt sein Krimi, sondern ein klarer Fall von Tat und Vorsatz: den alten Heidegger als Kriminologen outen, die Spur zurück ins Philosophische legen, genauso wie der Schlingenmord in Bonn im Heute im Grunde schon in Berlin im Kalten Krieg im Damals seinen Anfang nahm.

Aber das kann man ja alles nachlesen. Denn dank der konspirativen Verstrickungen des deutschen Buchhandels ist Thiemes Berlinkrimiding nun ein Zuhandenes und verweist als Werk, wie bereits der Pate Heidegger verriet, „in seiner Verwendbarkeit auf den Träger und Benutzer. Das Werk wird ihm auf den Leib zugeschnitten [aua!], er ist im Entstehen des Werkes mit dabei [schuldig, schuldig, schuldig!].“ Und, aber, auch: „In der Herstellung von Dutzendware fehlt diese konstitutive Verweisung keineswegs. Sie ist nur unbestimmt, zeigt auf Beliebige, den Durchschnitt.“ Die Reihe „Berlin Krimi“ wird fortgesetzt. Bei be.bra.

TOBIAS HERING

Bernhard Thieme: „Ein Toter zuviel“. be.bra verlag, Berlin 2001, 19,80 DM Martin Heidegger: „Sein und Zeit“.17. Aufl., Max Niemeyer Verlag,Tübingen 1993, 42 DM