„Kontrolle der Spitze unmöglich“

„Wir gehen davon aus, dass der Vorstand alle Risiken eingeplant hat“

Interview BEATE WILLMS

taz: Herr Klemm, auf der Hauptversammlung von DaimlerChrysler am Mittwoch in Berlin soll es zur Sache gehen. Etliche Aktionäre wollen Vorstand und Aufsichtsrat nicht entlasten. Belastet Sie das?

Erich Klemm: Formal ist es zwar so, dass der gesamte Aufsichtsrat von der Hauptversammlung entlastet werden muss. Aber ich bin Arbeitnehmervertreter und verstehe das so, dass ich meine Entlastung von den Arbeitnehmern bekomme, nicht von den Aktionären.

Sie haben aber 1998 auch als Arbeitnehmervertreter der Fusion mit Chrysler zugestimmt. Und das zieht Daimler jetzt mit in die roten Zahlen. War die Entscheidung falsch?

Keiner von uns konnte ahnen, dass es einmal so kommen könnte. Chrysler machte ordentliche Gewinne. Aber das gibt es eben. Auch bei Mercedes-Benz haben wir Anfang der 90er-Jahre gedacht, uns kann nichts passieren. Dann kam innerhalb weniger Wochen die große Krise. 40.000 Arbeitsplätze wurden abgebaut. Das war sehr schmerzhaft.

Man munkelt, in der Belegschaft werde gefordert, ähnlich rigoros wie damals bei Fokker oder AEG vorzugehen und Chrysler wieder aufzugeben.

Ich kann nicht ausschließen, dass das jemand am Stammtisch gesagt hat. Aber innerhalb des Unternehmens habe ich niemanden mit Einfluss getroffen, der das ernsthaft verlangt hätte.

Statt dessen haben Sie im Aufsichtsrat einem Konzept zugestimmt, das die Vernichtung von 26.000 Arbeitsplätzen bedeutet.

Es ist immer schwierig, Kosteneinsparungen umzusetzen. Leider wird dabei immer zuerst an die Arbeitnehmer gedacht. Aber wir haben uns auch intensiv mit den amerikanischen Kollegen beraten und waren übereinstimmend der Meinung, dass das Konzept insgesamt tragfähig ist.

Aber die UAW und die CAW, die amerikanische und die kanadische Gewerkschaft, hatten doch Tarifverträge, nach denen Kündigung und Personalabbau ausgeschlossen waren.

Deshalb ist für mich entscheidend, dass die Vereinbarungen innerhalb dieser Verträge geschlossen wurden und die UAW und die CAW zugestimmt haben.

Wieso gibt es dann trotzdem Entlassungen? Weil es in den lateinamerikanischen Werken keine Gewerkschaft gibt?

Der absolut überwiegende Teil der Stellen wird in den USA und Kanada gestrichen. Schwierig ist es für uns im Angestelltenbereich, wo die Verträge nicht greifen, weil die Angestellten nicht gewerkschaftlich organisiert sind. Im Entwicklungsbereich fällt jeder zehnte Arbeitsplatz weg, in zentralen Funktionen jeder fünfte. Und das geht nicht nur mit Frühpensionierungen, da wird auch entlassen. Es ist eben auf der ganzen Welt wichtig, sich unter den Schutz einer Gewerkschaft zu stellen.

Zu dem von Ihnen abgesegneten Konzept gehört auch, dass die Chrysler-Zulieferer ihre Preise dramatisch senken. Das wird dort auch Jobs kosten.

Die Situation bei den amerikanischen Zulieferern kann ich nicht einschätzen.

Selbst mit all diesen Einschnitten funktioniert die Sanierung nur unter bestimmten Bedingungen: Keine Rezession in den USA, Mitsubishi muss sich schnell umstrukturieren und Chrysler trotz stockender Autokonjunktur seinen Marktanteil behalten.

Es ist die Pflicht des Vorstands, alle Risiken einzuplanen. Wir gehen davon aus, dass er das getan hat.

Die deutschen Beschäftigten haben sich verdächtig still verhalten. Warum gab es keinen solidarischen Aufschrei, als die Zahlen bekannt wurden?

Was wäre das Ziel einer solchen Aktion? Was jetzt passiert, ist mit den amerikanischen Gewerkschaften vereinbart worden. Und jeder hat ein Interesse daran, dass Chrysler wieder in eine starke Position kommt. Natürlich haben die Kollegen hier auch gefragt, ob das Sanierungskonzept sich auf ihre Arbeit auswirkt.

Und?

Ich vermute, mehr Druck, als wir jetzt schon haben, kann es nicht geben.

Druck in Folge der Fusion?

Nein. Kostendruck gäbe es auch ohne Fusion. Das ist eine Entwicklung, die nicht nur bei Daimler, sondern überall in der Automobilindustrie zu beobachten ist. Wir haben in den deutschen Werken eine verschärfte Rationalisierung, Takte werden tendenziell verkürzt, Arbeitsabläufe standardisiert, die autonome Gruppenarbeit wird zurückgefahren. Außerdem will das Unternehmen Stammarbeitsplätze zunehmend durch flexible Arbeitsverhältnisse ersetzen.

Sie befinden sich also schon bei Mercedes, das hervorragend funktioniert, im Abwehrkampf. Als Arbeitnehmervertreter in der ersten Welt AG sind Sie Pionier. Können Arbeitnehmervertreter die Unternehmensspitze überhaupt noch kontrollieren?

Nein. Es gibt für die internationale Betriebsratsarbeit kein Gesetz. Wir versuchen allerdings, das Stück Einfluss, das das deutsche Mitbestimmungsrecht und die Betriebsverfassung uns deutschen Betriebsräten gibt, mit den anderen Arbeitnehmervertretern in der Welt zu teilen.

Wann kommen die Japaner hinzu?

Nicht so lange Mitsubishi ein eigenständiges Unternehmen ist.

Haben Sie schon Gespräche geführt?

Ja. Aber es gab bisher nur lockere Kontakte. Es ist sicherlich so, dass wir noch einige Zeit brauchen werden, um unsere jeweiligen Strukturen gegenseitig zu verstehen.

Wann gibt es bei DaimlerChrysler den Weltbetriebsrat?

Wir arbeiten daran. Noch diskutieren wir, wie er aussehen soll. Der Internationale Arbeitskreis, der im Augenblick besteht, ist eine Art Vorläufer. Wichtig ist, dass das Internationale Gremium ein Recht auf frühzeitige und umfassende Information bekommt sowie die Möglichkeit, zusammen zu kommen und diese Informationen auszuwerten.

Zentrale Verhandlungen soll er nicht führen?

Da sehe ich im Moment keine Notwendigkeit. Außer für einen weltweiten Verhaltenskodex, den ich für sehr wichtig halte und der an internationalen Verpflichtungen und Absprachen orientiert sein müsste: Akzeptanz von frei gewählten Gewerkschaftern als Gesprächspartnern, Arbeitssicherheitsstandards, keine Behinderung von Interessenvertretungen, Verbot von Kinderarbeit usw.

Sie sind gelernter Maschinenschlosser, aber seit 23 Jahren arbeiten Sie als freigestellter Betriebsrat. In Wirtschaftsmagazinen werden Sie als „smarter Managertyp“ charakterisiert. Haben Sie manchmal das Gefühl, gar nicht mehr zu wissen, was der Arbeiter in der Produktion denkt?

Dafür haben wir eine Struktur, die sicher stellt, dass der Kontakt bestehen bleibt und der Informationsfluss in beide Richtungen stimmt. Hier am Standort Sindelfingen haben wir rund 1.000 Vertrauensleute, die jede Woche vom Betriebsrat informiert werden und das dann an die so genannte Basis weitergeben. Umgekehrt landet alles, was an der Basis diskutiert wird, auf diesem Weg auch bei mir.

Wenn Sie für eine Sache ganz viel Zeit hätten, auf was würden Sie sich im Moment am liebsten konzentrieren?

In den letzten Wochen hätte ich mich gern noch mehr mit der Betriebsverfassung beschäftigt. Ich verstehe nicht, warum die Debatte darüber in der Öffentlichkeit mit so viel Polemik geführt wird. Offensichtlich gibt es in der Politik nicht mehr sehr viele, die wissen, was in den Betrieben überhaupt geleistet wird. Deshalb habe ich mich sehr bemüht, die Parlamentarier zu unterstützen, die davon noch etwas verstehen. Ich finde es erschreckend, dass es über alle Parteien hinweg die Tendenz gibt, die Arbeit der Betriebsräte gering zu schätzen. Gerade bei den Grünen habe ich den Eindruck, dass es ihnen wichtiger ist, Arbeitgeberpositionen zu verteidigen, als mehr Demokratie in die Betriebe zu bringen. Ich möchte dazu beitragen, dass die Forderung nach mehr Mitbestimmung in den Betrieben ein Thema für alle Demokraten wird.