Eine Geste des guten Willens

Als erste Stadt Tschechiens will sich Brünn für die Vertreibung der deutschen Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg offiziell entschuldigen. Nur über den Wortlaut der Erklärung gehen die Meinungen derzeit noch auseinander

PRAG taz ■ Nach 55 Jahren hat die tschechische Stadt Brünn Gewissensbisse bekommen: Als erste tschechische Stadt will sie sich offiziell bei den Deutschen entschuldigen, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus der mährischen Großstadt vertrieben wurden. Der gute Wille kommt aus dem Rathaus auf Drängen einer von ihm erstellten Kommission, die sich mit den Ereignissen der Vertreibung beschäftigt hatte.

„Die Mitglieder der Kommission haben sich einstimmig dafür ausgesprochen, dass die Stadt ihrem Bedauern Ausdruck geben sollte“, sagt Kommissionsvorsitzender Jirí Löw: „Während und nach dem Krieg haben wir viele unserer Mitbürger verloren. Leid tut es uns um alle – Deutsche, Juden und tschechische Roma.“

Berüchtigt ist die Stadt wegen des so genannten „Brünner Todesmarsches“. Dahinter verbirgt sich eines der grausamsten Racheakte im Kapitel der Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei. Noch bevor die Potsdamer Konferenz darüber entschied, die Deutschen ein für alle Mal aus Mittelosteuropa zu verbannen, nahmen die tschechischen Bewohner Brünns deren Schicksal selbst in die Hand. Am 31. Mai 1945 mussten sich alle deutschen Einwohner der Stadt versammeln. Unter Aufsicht der tschechischen Nationalgarde und Arbeiter der städtischen Waffenfabrik Zbrojovka Brno wurden sie in Richtung Österreich geleitet. Während des Marsches brach eine Ruhrepidemie aus. Über tausend Menschen starben. Bestattet wurden sie in Massengräbern in Mähren und Österreich. „Die Verhandlungen über die Entschuldigung sind mehr oder minder abgeschlossen“, sagt Kommissionsmitglied Dora Müller. Nur über den endgültigen Wortlaut sei noch nicht entschieden. Die Deutschstämmige, deren Familie wegen ihres antifaschistischen Standpunktes nicht von der Vertreibung betroffen war, hält eine Entschuldigung jedoch für zu schwach: „Ich möchte eine Verurteilung dessen, was geschehen ist, einen Ausdruck des Bedauerns und des Wunsches, dass sich so etwas nie wiederholen darf“, sagt sie.

Freude über die Brünner Entscheidung zeigt die Sudetendeutsche Landsmannschaft (SL): „Die Stadt, die ihrer Vergangenheit gegenüber seit der Wende eine positive Grundeinstellung gezeigt hat, setzt ein weiteres Zeichen“, meint SL-Sprecher Bernd Posselt. Wichtig sei auch, dass die tschechische Seite beginne, sich mit der Frage der Vertreibung auseinander zu setzen.

Die endgültige Entscheidung über den Wortlaut dürfte sich noch hinziehen. Erst müssen die einzelnen Fraktionen des Brünner Stadtrats den Entschuldigungsvorschlag der Kommission diskutieren.

Eine Abstimmung wird frühestens am Karfreitag erwartet.

ULRIKE BRAUN