Doch alles Bastler?

■ Auch die 3. Welt gibt's jetzt im Container. Zwar leben deren NGOs nicht darin, zeigen dort aber ihre Vorstellung von Nachhaltigkeit. Das ergibt 26 verschiedene Visionen im Übersee-Museum

Während in der Ostasienausstellung auf der unteren Etage Bremer Exportfirmen sich selbst darstellen, mal mehr, meist ziemlich wenig geglückt, und dafür viel Kohle ans Museum rüberschoben, kommt im 1. Stock quasi die ,andere Seite' zu Wort, also die Opfer der doch oft einseitigen Handelsbeziehungen zwischen 1. und 3. Welt. 26 Nichtregierungsorganisationen (NGOs) indigener Völker wurde erlaubt uns zu zeigen, wie sie sich mit den Schäden des Kolonialismus herumplagen. Dahinter steckt der wichtige Gedanke Michel Foucaults, dass den Ausgeschlossenen – Psychiatrisierten, Krüppeln, Armen – Gewalt angetan wird, solange sie stumm gehalten werden: Statt sie zu passiven Objekten von Hilfsmaßnahmen zu machen, die sie vielleicht gar nicht sinnig finden, müssen sie erst mal selbst ihre Situation formulieren/definieren. Das tun sie im Überseemuseum mittels Fotos mit Baströckchen, Fläschchen mit Heilkräutern, Flechtarbeiten, Stickereien – ein bisschen bunt und mit der westlichen Exotikliebe kalkulierend, aber auch durch Vorstellung ihrer Projekte.

Witzigerweise wurde die sympathische Ausstellung nicht von netten, aufgeschlossenen, umdenkenden Ethnologen im luftleeren Raum konzipiert. Vielmehr entstand sie im Auftrag der EXPO. Wäre man gemein, könnte man sie als Seiten- oder Abfallprodukt jenes missglückten Versuchs der Ankurbelung deutschen Tourismuswesens und des Ausbaus des Hannoveraner Messegeländes bezeichnen. Es gibt zwar nichts wirklich Wahres im Falschen, aber ein „Bisschenwahres“ eben doch; wobei bisschen hoffentlich nicht von Biss/zubeißen kommt?

Jedenfalls bemühte sich Projektleiterin Franka Ostertag redlich, die Präsentation von so genannten „Eingeborenen“ auf den Weltausstellungen früherer Jahrhunderte zu korrigieren. Eine Art Wiedergutmachung. Bislang nämlich, so meint Peter Junge vom Überseemuseum, wurden indigene Völker ausschließlich präsentiert durch ihr Kunsthandwerk: ein Volk von Bastlern. Und diese Töpfer- und Tuchwaren firmierten als putzig-skurrile Dekoration westlicher Handelsprodukte (wohl so ähnlich wie im Erdgeschoss) und somit „als Demonstration der Überlegenheit der westlichen Welt“.

Also machte man es ganz anders, schickte leere, etwa 2qm große Luftkoffer-Riesen (oder Miniatur-Container) aus Aluminium zu den Satere-Mawe in Brasilien, zu den Maya-Nachfahren in Ecuador, zu nomadisierenden Massai in Kenia, zu den Maori Neuseelands, selbst zu den Samen Lapplands, nach Kanada, Namibia, zu den Indianern US-Amerikas, aber warum eigentlich nicht zu den Obdachlosen der Sögestraße, sind schließlich auch hier geboren, also indigen. „Indigenous peoples wisdom from the Earth“ nannte die EXPO mit ihrem verlogenen Pathos die Kofferausstellung.

Die Koffer jedenfalls kamen gefüllt zurück, teils wie Setzkästen mit Regalen versehen, teils wie bayerische Adventskrippen von Modellbaufreaks mit Miniaturdorf oder Miniwald vollgestopft. Einer bekam sogar ein Basthütchen. Sie wurden durch Verglasung in Vitrinen verwandelt und – inhaltlich problematisch, aber sehr schön – vereinheitlicht; und zwar durch Neontafeln für die Projektbebeschreibungen. Aber irgendwie stimmt es ja, dass Armut die Menschen zu einer großen Nation zusammenschließt. Bei den NGOs handelt es sich um ein Tierschutzprojekt, Förderung von fairem Handel des Mode-Disco-Aufputsch-Hypes Red-Bull-Guarana, um Schreib- und Leseschulung für nicht sesshafte Hirtenjungen, ein Zeitungsprojekt für desorientierte, kriegsgeplagte Guatemalteken, umweltpolitische Bildung in Kanada, homöopathieartige Heilverfahren, auch weil man sich High-tech-Medizin schlicht nicht leisten kann, um Antidrogenprojekte natürlich in der drogophoben USA oder um die „Wiederaneignung“ der hawaiianischen Sprache, während Europa versucht sein Englisch fit zu machen für die Globalisierung und sich mit den bösen Folgen des Stammesbewusstseins in Jugoslawien herumschlägt.

Diese Formen medizinischer, kultureller etc Selbstvergewisserung sind notwendig und gut, aber manchmal klingt sie und die Rücckehr zur verloren gegangenen „Mother Earth“ auch ein wenig esoteriknah. Und an den grundsätzlichen Ursachen von Armut und Reichtum können diese Selbsthilfeprogramme sowieso nicht rütteln.

Deshalb hat Peter Junge auch tiefes Verständnis für jenen NGO-Vertreter, der ihn beschimpfte, weil man wieder mal Eingeborenenkultur ausstellte, aber das Museum null Geld hat, die Menschen auch hier einzufliegen zur Eröffnung. Der Indio wollte es einfach nicht glauben, dass Museen im Mercedes-Land wirklich zu arm dafür sind und fühlte sich wieder mal kolonialistisch ausgebeutet. Und eine NGO-Frau wollte nur in Business-Class für 8.000 Mark anreisen, nicht aus luxuriösen Gelüsten, sondern weil sie offenbar Höllenangst hat, erneut schlechter als Weiße behandelt zu werden.

Bemerkenswert ist auch, dass die Selbstpräsentation der Indios just jene „Museumspräsentationen wieder aufgreift, die hier längst überholt sind“: eben doch viel Kunsthandwerk, auch wenn zwischendurch ein paar marketingartige Filme über Bildschirme flimmern. Aber diese Ausstellung ist wichtig, gerade weil sie die Probleme der Selbstpräsentation und des sozialen Engagements des Westens sichtbar machen. Nach der Ausstellung möchte das Übersee-Museum die Koffer an andere Museen ausleihen. Nach drei Jahren geht alles zurück an die NGOs. Allerdings ohne die schweren Koffer. Denn zu deren kostspieliger Versendung hat man ... genau, wieder mal kein Geld. bk

Vorerst bis 3. Juni