Wir sind eine Straße

Liebe Naturschützer, ihr könnt den Tiergarten behalten. Die Love Parade muss nicht an der Siegessäule stattfinden – Berlin ist groß genug. Vorschläge für eine alternative Routenplanung

Allee der Kosmonauten

Ich kenne eine gute Straße in Marzahn, die heißt „Allee der Kosmonauten“. Da habe ich zehn Jahre gewohnt. Da könnte man die Love Parade machen.

Die Allee der Kosmonauten ist keine gewöhnliche Straße, sie trägt ihren Namen zu Ehren des Weltraumfahrers Sigmund Jähn, der 1977 als erster DDR-Bürger ins All flog. Wer in einem der Elfstöcker an der Allee der Kosmonauten im „Wohngebiet Eins“ wohnte, war demzufolge der King. Der „Helene-Weigel-Platz“ am Springpfuhl konnte da nicht mithalten, obgleich er 24-Stockwerkhäuser für Diplomaten, Kaufhalle, Eisdiele und „Dienstleistungswürfel“ in die Waagschale warf.

Meine Freundin Katja wohnte im Diplomatenhochhaus und hatte einen aus London mitgebrachten Videorecorder. Manchmal durfte ich ihre von „Formel 1“ aufgenommenen Musikclips mit anschauen. Katjas Mutter drückte einmal auf die Rewind-Taste und ließ Nik Kershaw wie das Duracell-Kaninchen zucken, rückwärts. Ich rollte auf dem Boden vor Lachen, Katjas Mutter guckte etwas betreten, weil sie mal wieder merkte, dass ich ein Arbeiterkind war.

Die Allee der Kosmonauten ist breit, die Plattenbauten am Wegesrand sind so schön futuristisch, wer weiß, vielleicht falten sie sich zusammen bei 180 Schlägen pro Minute. Sei's drum, music is the key. Kleingartenanlagen zum Vollpissen und Laternenmäste zum Sichdraufsetzen gibt es auch. Raver, Marzahn will euch. Die Free-your-mind-Posen auf dem Fantawagen, die Ich-hab-nichts-mehr-an-Kostüme und Leuchtstäbe im Haar, der Red-Bull-Wodka-Auswurf in der Grünanlage – wie schön würde das alles die Allee der Kosmonauten dekorieren. Und sie dem All ein Stück näher bringen.

JANA SITTNICK

Müllerstraße

Es wäre gut, wenn die Love Parade nach Wedding in die Müllerstraße verlegt werden würde. Denn die Müllerstraße hat bereits große Erfahrung mit ausgelassenen Straßenfesten. Und jetzt schon ziehen viele Berliner das einmal im Jahr stattfindende schöne „Müllerstraßenfest“ dem unruhigen Techno-Umzug im kaputten Tiergarten vor.

Das hat gute Gründe. Erstens ist hier keine unangenehme Gegenbewegung zu erwarten. Denn wenn im Wedding eine Party ist, machen alle Weddinger mit. Die Bürgerinitiativen verkaufen Aufkleber, die Einzelhändler räumen ihr Elektroniksortiment auf den Bürgersteig, die griechischen Gaststättenbesitzer grillen Sardinen, und die SPD hat auch einen Stand aufgebaut. Meistens ist sogar die Westernband aus Spandau zu Besuch. Sie singen von Liebe und Pferden. Und vor ihrem Auftritt hält der Quartiersmanager noch eine versöhnliche Rede. Selbst die Kinder, die jeden Tag auf Wolldecken vor Karstadt defekte Plastikponys und zerschlissene Pokémon-Hefte verkaufen, sind glücklich. Sie machen an solchen Wochenenden doppelten Umsatz. Ein zweiter Grund für Love Parade auf der Müllerstraße ist die hohe Suchttoleranz der Bevölkerung. Die Weddinger sind es gewohnt, mit Drogen zu leben. Wenn schon mittags stets das halbe Viertel betrunken in den Büschen hängt, lernt man mit der Zeit Gelassenheit zu leben. Eine Million Freizeit-Raver könnten von dieser unaufgeregten Einstellung zum Rauschmittelkonsum nur profitieren. Außerdem gibt es hier nichts, was durchziehende Massen zerstören könnten. Der Beton auf der Müllerstraße ist stabil, Gärten sind nicht vorhanden, die Tiere können zurückbeißen. Auf diese Weise präsentiert sich die Müllerstraße als wohl benutzerfreundlichste Meile der Stadt. Norbert Blüm wohnt auch im Wedding. KIRSTEN KÜPPERS

Simon-Dach-Straße

Die Fuckparade sieht sich vor allem als Protestkundgebung gegen die „Disneyfizierung der Innenstädte“. Das ist richtig. Die Veranstalter übersehen allerdings, dass sie es in dieser Sache nicht mit der Love Parade selbst konkurrieren können. Das Zerstörungspotenzial von mehr als einer Millionen Ravern ist nicht zu unterschätzen. Die Teilnehmer der Love Parade und der Fuckparade sollten also ihre Kräfte bündeln. Die Simon-Dach-Straße im Friedrichshain wäre der richtige Ort, um ein Zeichen zu setzen gegen die Verwandlung der organisch gewachsenen Stadtlandschaft in künstliche Freizeitparadiese und Themenparks. Dort, wo sich vom frühen Donnerstagabend bis zum späten Sonntagmorgen die Bevölkerung der Berliner Außenbezirke Lichtenberg, Marzahn und Hellersdorf von einer Happy Hour zur nächsten hangelt und in den meisten Cocktailbars Caipirinhas ohnehin zum Einkaufspreis angeboten werden, dürfte nach einer konzertierten Aktion am 14. Juli kein Tisch mehr auf dem Bürgersteig stehen. KOLJA MENSING

Unter den Linden

Also, wir wissen es ja: Love Parade ist mega-out. Wenn nur noch die CEOs der verschiedenen Sponsoren blöd auf den Trucks stehen und glotzen, wo denn nun der Hype abgeht, ist die Angelegenheit eigentlich gefrühstückt. In ist dagegen der Protest gegen Castor-Transporte. Und mega-in ist es, sich einzubetonieren. Für die Umwelt, gegen das Atom. Deshalb schließt sich die Love Parade der Demonstration „Rettet den Großen Tiergarten vor der Love Parade“ einfach an. Ist doch klasse, dass dieses Jahr zufälligerweise genau am selben Tag so ein Mega-In-Event stattfindet.

So eine Gelegenheit muss man einfach nutzen. Da kommt endlich wieder der politisch-demonstrative Charakter der Love Parade zum Vorschein. Die Strecke der Love Parade zur Niederschlagung der Love Parade und zum Erhalt des Tiergarten in Berlin und überall muss – insofern sich der Demonstrationszug der Bürgerinitiative von Hans-Heiner Steffenhagen vom Pariser Platz aus zum großen Stern bewegen wird – einfach Unter den Linden heißen. Denn diese berühmte Straße schließt sich bekanntlich am Pariser Platz makellos an die Straße des 17. Juni an. Vom Alexanderplatz kommend, stößt also die Love Parade zur Niederschlagung der Love Parade und zum Erhalt des Tiergarten in Berlin und überall auf den Pariser Platz vor, wo sie sich der Demonstration „Rettet den Großen Tiergarten vor der Love Parade“ anschließt. Die wird natürlich ein Bombenerfolg. Wann hat eine Demo für den Naturschutz mal 1,3 Millionen Teilnehmer gehabt? Und so viel ununterbrochene Fernsehübertragung über wenigstens 10 Stunden hinweg? BRIGITTE WERNEBURG

Prenzlauer Allee

Ganz klar: Die diesjährige Love Parade muss auf der Prenzlauer Allee stattfinden. Wenn eine Straße für die Love Parade geeignet ist, dann diese. Da stimmt die günstige Lage in der Stadt: hier der Alex, dort Hamburg, da stimmt die Infrastruktur und nicht zuletzt auch die Diskurskraft. Denn schließlich ist es einfach an der Zeit, dass der Umzug einmal ausschließlich in Ostberlin stattfindet. Da wären nach dem Kurfürstendamm (alte Westbindung) und der Route vom Ernst-Reuter-Platz zum Brandenburger Tor und wieder zurück (der immer noch sehr symbolische Versuch, beide Teile der Stadt zu verbinden) endgültig alle Versprechen der Love Parade eingelöst: We are one family, one nation under a groove, one Germany, one Love Parade usw.

Auf der Prenzlauer Allee würde die Rave-Nation endgültig bei sich selbst ankommen. Auch weil die Prenzlauer genau den Spirit hat, zu dem man auf der Love Parade movt, nicht zuletzt im Vergleich mit der durchaus schlagkräftigen Ostberliner Konkurrenz von der Karl- Marx-Allee oder der auf dieser Seite ebenfalls gesporteten Allee der Kosmonauten. Der einen steht ihr Image im Weg, eine, wenn nicht gar die Prachtstraße Berlins zu sein, die andere ist einfach zu out of space. Die Prenzlauer Allee dagegen ist bodenständig 2001.

Hier dürfte sich der Raver aus Buxtehude genauso zu Hause fühlen wie der aus Frankfurt/Oder; die Supermärkte von Netto bis Norma, von Penny bis Lidl sind alle zur Stelle, gleichgesinnte Einheimische findet man in diesen genauso wie in einschlägig-gemütlichen Cafés wie dem „Café Prenzlau“, dem Internetcafé „Jahrgang 54“ oder dem „Grell-Eck“. Insbesondere in diesen drei Cafés brütet man im Übrigen schon seit Jahren erfolglos Pläne für ein Straßenfest aus. Da würde die Love Parade gerade richtig kommen, und einen neuen Namen hätte man beispielsweise im „Jahrgang 54“ auch schon für sie: „Die singende, klingende Prenzlauer Allee“. GERRIT BARTELS

Oranienburg

Uneigennützig, um die Veranstaltung für die Region zu retten, biete ich mein 780 Quadratmeter großes Gartengrundstück in Oranienburg an, um dort die Love Parade zu veranstalten. Auf dem Anwesen steht ein Einfamilienhaus, dessen Keller schon mit wenigen Umbauten die Atmosphäre des legendären Techno-Tempels Tresor ausstrahlen würde. Die Kinderzimmer sind bereits mit Kassettenrekordern ausgerüstet und können als Chill-Out-Zonen dienen. Im Garten stehen ausreichend Bäume zum Anpinkeln und Grünpflanzen und Sträucher zum Niedertrampeln bereit. In der Auffahrt können Erfrischungen und mit dem Logo des Veranstalters „o-burg.com“ bedruckte T-Shirts verkauft werden.

Wer unbedingt laufen will, was im Tiergarten in den letzten Jahren ja fast unmöglich war, kann den Fahrradweg auf der Andre-Pican-Straße bevölkern. Die Straße selbst zu benutzen, wäre aufgrund des unverhältnismäßig schnellen Durchgangsverkehrs zu gefährlich, aber dafür wird diese Open-Air-Location regelmäßig von 400-Watt-Anlagen aus tiefer gelegten PKWs heraus mit besonders dumpfen Techno-Beats beschallt. Auf dem Gehweg finden sich einzelne Straßenlaternen und Verkehrsschilder, die beklettert werden können.

Mit Anwohnerprotesten ist nicht zu rechnen: Die sich vor dem gegenüberliegenden Imbiss sammelnden Alkoholiker wissen einen gepflegten Umtrunk in aller Öffentlichkeit zu schätzen.

Kein Problem gibt es auch mit der Müllbeseitigung: Schon jetzt wirft hier fast jeder alles auf die Straße, was er loswerden will. Stattdessen bietet die Stadtverwaltung ein attraktives Rahmenprogramm: Eine der monatlichen Entschärfungen von Sprenggut aus dem 2. Weltkrieg kann sicher so verzögert werden, um termingerecht für Nervenkitzel und Bombenstimmung zu sorgen. Der neue Ort für die Love Parade liegt konkurrenzlos verkehrsgünstig: Alle Nordbrandenburger und Mecklenburger, die immer in Oranienburg umsteigen mussten und dort in den letzten Jahren regelmäßig hängen blieben und auf dem Bahnhof eine lautstarke Alternativ-Parade feierten, sparen nun eine ganze Stunde S-Bahnfahrt bei der Anreise und finden auch wirklich hin. THOMAS WINKLER