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pampuchs tagebuchDie zweckfreie Schlenderung des Geistes

Früher gab es Tage, da war man faul und genoss es. Heute gibt es einen Bundeskanzler, der das Menschenrecht auf Faulheit in Frage stellt. Ganz Deutschland redet plötzlich fleißig vom Faulsein. Und dabei tun die meisten auch noch so, als verstünden sie etwas davon. Ich persönlich bekenne, dass ich diese hohe Kunst nie richtig beherrscht habe. Und ich beschuldige den Bundeskanzler, mir beim Erlernen derselben immer wieder Steine in den Weg zu legen. Zum Beispiel hat er als flankierende Maßnahme für seinen Angriff auf dieses Grundrecht im Verein mit seinen Spezeln aus Wirtschaft und New Technology das Internet entdeckt und propagiert es als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Damit will er seinen Schutzbefohlenen doch nur die Lust am edlen Müßiggang austreiben. Inzwischen ist es ihm gelungen, Millionen von Menschen dazu zu bringen, angestrengt und besessen auf ihren Computern herumzuhacken, anstatt sich fröhlich dem süßen Nichtstun hinzugeben. Und das nicht nur in dem Teil ihres Lebens, den sie als Lohnarbeiter damit zubringen, ihre Brötchen zu verdienen, sondern zunehmend auch in der Zeit, die man früher als Mußestunden bezeichnet hat. Oder Altdeutsch gesprochen: in der Zeit, die man zur „Reproduktion der Arbeitskraft“ benötigte.

Anstatt diejenigen, die sich erfolgreich dem sinnlosen Rumbosseln entziehen, zu ermuntern und sie als Erzieher des Volkes in unsere Gesellschaft zu integrieren, beschimpft sie der Kanzler und will sie ausgrenzen. Ja, zum Himmel, merkt er nicht, dass wir Arbeitsgeilen weitaus mehr von befähigten Müßiggängern lernen können als die von uns? Was uns fehlt, ist doch nicht Arbeit, sondern die Fähigkeit, auch mal auf sie zu verzichten und trotzdem zufrieden zu sein.

Das Internet mit seiner falschen Geschäftigkeit steht einer genussvollen, kreativen Faulheit schon deshalb im Wege, weil es eher Hektik und Ungeduld fördert. Das Medium ist ganz und gar nicht geeignet, jemanden dazu zu bringen, entspannt und zweckfrei den Geist schlendern zu lassen. Die elektronischen Foren, die man uns da – durchaus im Wissen um das Anheimelnde der realen Märkte und Piazzi - allenthalben anbietet, sind ein schlechter Ersatz. Chats sind keine wirklichen Schwätzchen, und so recht treiben lassen, wie es der gelernte Faulenzer beherrscht, kann man sich im Netz auch nicht. Der hübsche Begriff „Surfen“, der Freiheit und Spaß verheißen soll, ist – genau besehen – ein grandioser Euphemismus für die rastlose Klickerei im Internetalltag.

Man muss schon ganz schön suchen, wenn man sich im Netz einen schönen Lenz machen will. Doch manchmal klappt es. So lohnt es sich, die feine Online-Zeitung Telepolis unter www.telepolis.de anzuklicken. Sie schafft es mitunter, wie ein gutes Kaffeehaus zu funktionieren. Man lungert herum, findet Beiträge zu allerlei aktuellen, aber vor allem auch erfrischend unaktuellen Themen, und das Forum hat sogar etwas von einer Kneipendiskussion. Besonders eingenommen hat mich ein kleiner Geburtstagshymnus auf Tom Lehrer, den genialen amerikanischen Liedersänger. Auch zum Thema Faulheit äußert sich Telepolis und hat dazu ein schönes Zitat aus Paul Lafargues „Lob der Faulheit“ hervorgekramt: „Die blinde, wahnsinnige und menschenmörderische Arbeitssucht hat die Maschine aus einem Befreiungsinstrument in ein Instrument zur Knechtung freier Menschen umgewandelt ... O Faulheit, Mutter der Künste und der edlen Tugenden, sei du der Balsam für die Schmerzen der Menschheit!“. Vielleicht gelingt es ja, das Netz doch noch zum Befreiungsinstrument zu machen. Aber dann nur als Hängematte.

THOMAS PAMPUCH

ThoPampuch@aol.com

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