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Blumenbouquets ja, Lilien nie!

Elvis Costello zeigt, wie gut er mit Operndiven kann. Auf „For the Stars“ trifft sein Wille zum Kunstlied auf die Atemtechnik Anne Sofie von Otters

Das Hotel Vier Jahreszeiten in München an einem kalten, klaren Sonntag. In der Lobby tritt sich weißblaublütige Prominenz auf die Füße: Edmund Stoiber und Friede Springer trinken Tee, Lothar Matthäus eilt durch den Saal, er ist auf Einladung des Mercedes-McLaren Formel-1-Teams in der Stadt, zum Schaulaufen. Im dritten Stock das Kulturprogramm: Mitarbeiter einer Plattenfirma raunen sich im Vorzimmer einer weitläufigen Suite leise Klagen über die Unzumutbarkeit der Zimmerflucht zu. Sie sei zu laut, man müsse dringend in eine andere Etage ziehen.

Einen solchen Aufwand betreibt man in der Regel für Diven, und von denen waren gleich zwei für Interviews nach München eingeflogen worden: aus Stockholm eine leicht verschnupfte Anne Sofie von Otter, Mezzosopranistin von Weltrang, aus London ein glänzend aufgelegter Elvis Costello, Rockmusiker mit dem spürbaren Wunsch, eines Tages zur Beletage des Establishments zu gehören. Gemeinsam haben die beiden ein Album mit dem Titel „For The Stars“ aufgenommen, mit 18 eigens von Elvis für Anne Sofie komponierten Liedern und Duetten sowie Interpretationen von Klassikern Brian Wilsons, Tom Waits’, der Beatles und anderer mehr.

Der Impuls ging vom Mann mit der Hornbrille aus. Dessen Frau Cait hatte Costello 1989 zu einer Aufführung von Berlioz’ „La damnation de Faust“ eingeladen; das Erlebnis war prägend. Blumenbouquets und Grußnoten wurden von Costello an Frau von Otter geschickt, deren Stimme so ausdrucksstark ist, dass Kritiker vom „unforcierten Glanz“ ihres Organs schwärmten. Der Wunsch nach Kollaboration wurde angetragen, und tatsächlich nahm man 1996 gemeinsam mit dem Schwedischen Rundfunkorchester auf. Noch im gleichen Jahr empfahl Costello seine Freunde vom Brodsky Quartet als Begleitmusiker für ein von ihm geschriebenes Liederprogramm namens „Three Distracted Women“ mit Frau von Otter als Sängerin. Mit dem Brodsky Quartet hatte Costello drei Jahre zuvor ein geschmäcklerisches, kammermusikalisches Konzeptalbum mit dem Titel „The Juliet Letters“ aufgenommen, das zwar den Fall des Songwriters in die Bedeutungslosigkeit nicht aufzuhalten vermochte, ihn aber zumindest weich im Feuilleton landen ließ. „For The Stars“ ist heute der hoch dotierte Schritt des Duos, die neue und die alte Mitte zu erschließen. Die Verschmelzung von Klassik und Rock, oder besser: von Popsong und Kunstlied.

„Ich habe Gustav Mahler gesungen, Kurt Weill und Händels Marienkantaten. Elvis wusste instinktsicher, was ich singen konnte und was nicht. Er ist einfach ein einfühlsamer Mann.“ Anne Sofie von Otter teilt während des Interviews Komplimente aus, die Bescheidenheit signalisieren sollen und von Elvis Costello dankbar aufgegriffen werden: „Ich schickte ihr Blumengebinde, es erschien mir passend.“ Von Otter: „Dein Blumenhändler hatte einen sehr guten Geschmack.“ Costello: „Ich hatte ihm gesagt, er solle den schönsten und größten Strauß binden, den er sich vorstellen könnte. Nur Lilien, habe ich ihm gesagt, nur Lilien solle er nicht benutzen, die kann ich nämlich nicht ausstehen.“

Während Anne Sofie von Otter auf und hinter den Opernbühnen hofiert wurde und von Dirigentenkoryphäen wie Carlos Kleiber seit nunmehr einem Jahrzehnt auf höchstem Niveau gefordert wird, wirken die Versuche Costellos, als Kunstmusiker anerkannt zu werden, bemüht. Aufnahmen aus den letzten Jahren mit Burt Bacharach, Bill Frisell und anderen sowie Konzerte, in denen er etwa Renaissancelieder oder Sonette von Shakespeare sang, waren nie frei von Verklemmungen. Rockalben schließlich gerieten dem Sänger immer seltener zwingend. Wen mag es da verwundern, wenn „For The Stars“ aus diesem Dilemma nur schwer herausfindet?

An mangelnder Virtuosität liegt es natürlich nicht, wenn das Album wie die passende Hintergrundmusik selbstgefälliger Dinners in der Oberstadt daherkommt. Anne Sofie von Otter singt, umzärtelt von Streichern und Jazzschlagzeug, herausgefordert durch verschachtelte Arrangements, mit wohltemperierter Atemtechnik und beherztem Ausdruck, sie umweht die Aura derjenigen, die nichts zu verlieren hat auf ihrem Parcours durch die Unterhaltungsmusik. „Ich mag Herausforderungen, musikalische Herausforderungen, also nicht Fallschirmspringen“, sagt von Otter: „Für mich war die Zusammenarbeit mit Elvis eine willkommene Ergänzung meines Repertoires.“ Repertoire, da ist es gefallen, das Wort, das dieses ambitionierte und doch so angespannte Album vielleicht am besten charakterisieren mag: eine Ergänzung, die dem Mann, der von der Straße kam, weit mehr bedeutet als der Frau, die schon immer die Straße gemieden hatte. MAX DAX

Anne Sofie von Otter/Elvis Costello: „For the Stars“ (Deutsche Grammophon/Universal)

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