: Religion als Widerstand
Ausstellung zur Verfolgung der „Zeugen Jehovas“ im Faschismus in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme eröffnet ■ Von Elke Spanner
Rolf Appel, enthauptet. Irmgard Geyer, geächtet. Hans Wöltje, Tod im KZ. Die Männer und Frauen aus Hamburg und Schleswig-Holstein galten im Nationalsozialismus als „Staatsfeinde“. Sie waren Zeugen Jehovas, auch Bibelforscher genannt. Und widersetzten sich dem faschistischen Regime auf eine Weise, welche heutige Zeugen Jehovas als „geistigen Widerstand“ bezeichnen. Gestern eröffnete die Gruppe „Lila Winkel“ eine Sonderausstellung zum Thema, die bis zum 17. Juni in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme zu sehen ist.
Es ist symptomatisch, dass die Ausstellung „Geistiger Widerstand aus christlicher Überzeugung“ vom Umfang her klein geraten musste. Denn bei den Bibelforschern handelt es sich, wie „Lila Winkel“ sagt, um „vergessene Opfer des NS-Regimes“. Sie bildeten nur eine vergleichsweise kleine Gruppe, 10.000 waren während des Faschismus inhaftiert, 2000 in KZs, aus Neuengamme sind 160 Häftlinge bekannt. Zudem wurden sie bis Mitte der neunziger Jahren nicht in den Zusammenhang mit Opposition gebracht, weil sie nur religiöse, nicht aber politische Schriften verbreiteten.
Für ihren Glauben aber gingen viele Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus ins Gefängnis oder sogar in den Tod: Sie haben den Wachturm weiter verteilt, obwohl der seit 1935 verboten war. Sie haben den Wehrdienst abgelehnt, weil in der Bibel „Du sollst nicht morden“ steht. Und sie verweigerten den Hitlergruß, weil für sie Jehova der Retter war und nicht Adolf Hitler. Sie selbst sahen darin keine politische Demonstration, sondern nur ein Zeugnis ihres strengen Glaubens. Bei den Nazis kam das aber „als politischer Widerstand an“, sagt Thomas Zibulla, der die Ausstellung mit organisierte.
Sie zeigt Porträts verfolgter Zeugen Jehovas sowie kurze Darstellungen ihrer Biographien. Rolf Appel wurde hingerichtet, weil er den Wehrdienst verweigert hatte. Zuvor hatten die Nazis ihm seine beiden Töchter weggenommen und bei einer Familie untergebracht, die im faschistischen Sinne als „mus-terhaft“ galt.
Auch Ella Seemann wurde wegen ihres Glaubens von ihren Kindern getrennt. Von Wilhelm Johe verlangten Wachleute in Neuengamme, sich von seiner Religion loszusagen. Seine Weigerung musste er mit Stockhieben bezahlen, mehrmals.
In der Ausstellung finden sich keine Hinweise darauf, inwieweit sich Zeugen Jehova über die Ausübung des Glaubens hinaus dem Regime oder auch der Lagerordnung widersetzten. Dabei ist beispielsweise die Geschichte von vier Glaubensbrüdern bekannt, die von ihrem Arbeitsplatz in Bergedorf aus per Funk Nachrichten aus dem Lager verbreiteten. Ebenso lässt die Ausstellung unerwähnt, wie sich die Nazis die strenge Religiösität ihrer Häftlinge auch zunutze machten: So setzten sie Zeugen Jehovas vor allem für Arbeiten in den Außenkommandos ein, um Wachleute zu sparen – aus Glaubensgründen lehnten die Bibelforscher Fluchtversuche ab.
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