Lass dich antanzen, Babe

Schwitzen und lächeln: Das „Rive Gauche“ ist die neue Edel-Disco am Spreeufer. Als Treffpunkt für angehende Parisfreunde ist der Ort, an dem auch mal „Professorenarmdrücken“ veranstaltet wird, nicht so gut geeignet

„Armani-Pullover sind ja eigentlich was für die Handwäsche. Hab ihn neulich aber doch in die Maschine gepackt, so bei vierzig Grad. Jetzt ist er wirklich ganz schön flauschig.“ Vor dem „Rive Gauche“ weht ein starker Wind. Lehnt man sich über die Mauer, sieht man sein Gesicht auf der Spree tanzen. „Bei mir ist auch nichts passiert das letzte Mal, ich meine, keine Verfärbungen und so, als ich meine lila Unterwäsche zusammen mit den weißen Hemden von meinem Freund gewaschen . . . “ Ein Windstoß trägt die Stimmen wieder fort.

Grelle Scheinwerfer strahlen die Disko an; sie werfen die Schatten der vorbeigehenden Gäste riesengroß auf umliegende Häuserfassaden. Wenn der Türsteher die dickmilchige Glastür aufmacht und die Einlassbegehrenden mustert, schwappt eine Ladung Musik aus dem Clubinnern heraus.

„Bitte noch einen kleinen Moment, ich bin hier gerade etwas verklemmt“, sagt die Kassiererin am Eingang und nestelt nervös an der Kasse herum. Jemand in der Schlange murmelt etwas von „Frauen und Technik“. Es dauert noch einige Minuten, bis der Bon-Stau behoben ist.

„Rive gauche“, wie Pariser das linke Ufer der Seine nennen – das ist Musik in den Ohren von frankophilen Kneipenromantikern. Genießerisch langsam und äußerst bedächtig lassen sie sich die Silben von der rotweinschweren Zunge gehen: Riiiifff Goooosch. Selbst allerschweigsamste Naturen tauen an diesem Ort in Paris auf und geraten in einen Redefluss, der gewöhnlich vor Morgengrauen nicht versiegt.

Nichts ist mehr übrig von dieser Magie im gleichnamigen Club an der Spree. „Herrentagsparty“ und „Professorenarmdrücken“ heißen hier prosaisch die Veranstaltungen, und an einem Wochentag gibt es „Tequila für ’ne Mark“. In dem Lärm versteht man sein eigenes Wort nicht mehr. Da verlegt man sich ganz aufs Schauen, wie alle anderen, die in Gruppen gekommen sind, sich in den schnittigen Sofaecken niedergelassen haben und nun ihren Blick auf die Tanzfläche richten.

Auf der Bühne tanzt ein Go-go-Girl mit Cowboyhut, sie schwitzt und lächelt angestrengt. Hinter der Musikanlage hebt ab und zu einer der DJs zur Animation den Arm. Mit Schlips, braungebranntem Teint und Zähnen, die im weißen Neonlicht gespenstisch strahlen, bewegen sich Männer auf Frauen in teuren Lederjacken zu oder besteigen den Kasten auf der Tanzfläche, ein tabledancing-Surrogat. Der Höhepunkt ist erreicht, wenn Feuerzeuge über den Köpfen funzeln, die Lichtanlage heftig flasht und Trockennebel aus dem Boden schießt. Danach folgen zwei, drei ruhige Songs zur Entspannung. Fun ist ein Wechselbad.

Nur einer fällt aus dem studentisch korrekten Edel-Schick im Rive Gauche heraus. Er trägt einen Oberlippenbart, eine alte Lederjacke, schmutzige Jeans und Turnschuhe, sitzt am Kloeingang und wartet, dass jemand kommt und 50 Pfennig in seine Schale legt. Manchmal geht er auch durch den schmalen Gang nach vorne, lehnt an einer Ecke und schaut dem Treiben zu.

MATTHIAS ECHTERHAGEN

Rive Gauche, Friedrichstraße 105