deutschland, geh mir aus der sonne!
: PETER KESSEN über seine Antifa-Recherchen

Parteiübergreifende Paranoia

Letzten Sommer habe ich „Antifa-Infos“ durchgeblättert: Da starren Nazi-Fleischmützen neben Bilanzen von Mord und Hetze. Als Journalist hat man Respekt vor der Antifa, gleichzeitig regt sich Abwehr gegen das belastende Thema. Statt konkreter Aktion produziere ich Radiofeatures über Haider oder den Boxer Obi Oji in Eberswalde. Dann rauscht die rechte Gewaltexplosion durch die Medien. Jetzt muss ein Feature her über die Antifa, und nicht die 66. hermeneutische „Dokumentation“ von LoNSdale & Co! Eine Redaktion sagt zu, aber warnend: Aufpassen, das sind auch Autonome!

Sofort flackern vor dem geistigen Auge verwackelte Horror-Polaroids von Hasskappen und Carl-Schmitt-Paranoikern. Ich treffe zwei Antifas, aus einer Bündnis-Gruppe (BG) und einer autonomen Gruppe (AG). BG erklärt, die Szene bestehe aus politisch heterogenen Jugendlichen, das Motiv liege in rechter Gefahr im Kiez. AG erklärt, Antifa ziele auf breite Bündnisse, die Wurzeln des Rassismus lägen im Konkurrenzprinzip der bürgerlichen Gesellschaft, wobei allerdings auch der Nationalismus der DDR, der Polenhass und Sekundärtugenden zu berücksichtigen seien. Persönlich wolle man niemals Morde verantworten, Gewalt sei als Selbstschutz legitim. Dann fällt der Satz: „Innensenator Werthebach ist bekämpfenswerter als alle Nazis.“ Das sei nur „eine politische Einschätzung“: Werthebach, der „Kalte Krieger“, wolle die gesamte Antifa kriminalisieren und datentechnisch erfassen.

Nun ja, juveniles Heißblut, denke ich erstaunt, ältere Antifas, die Migrant(inn)en helfen, sollen alles abrunden. Erst einmal geht’s zur Demo nach Schöneweide gegen eine Veranstaltung der Jungen Nationaldemokraten zu Ehren des SS-Panzerführers Kurt Eggers, Autor des seinerzeitigen Schlagers „Kamerad, die Schicksalsstunde schlägt“. Vor der Polizeisperre sammelt sich Antifa, an der Spitze die Unorganisierbaren, junge Punks, Bierdosen kickend: „Hey, Rote Zora. Kampf dem Kapital und den Bullenschweinen.“ Die Teenager fahren keinen Angriff. „Ob grün, ob braun, Nazis auf die Fresse haun“, das hört die Polizei wohl ungern, während sie stoisch über einen verlorenen Nachmittag reflektiert. Herumstehende Antifas lassen verlauten, hier passiere nichts mehr, aber in Königs Wusterhausen sei ein Antifa-Fest! Mit anderen Menschen guten Glaubens stehe ich später, bei 5 Grad, auf einem verregneten Open Air. Gleichzeitig wird in Lichtenberg der wahre JN-Treffpunkt gestürmt, Straßenschlacht und Festnahmen inklusive. Diesen Sound hätte ich gerne im Recorder gehabt.

Ein paar Tage später treffe ich zufällig jene Antifas, die mich nach Königs Wusterhausen geschickt hatten. Sie erklären, dass Rundfunkaufnahmen für den Staatsanwalt Dokumente von Straftaten sein könnten: Als Journalist sei ich halt „Spielball zwischen den Fronten“. Dann warnen Kollegen vor „linken Angriffen auf missliebige Journalisten“. Konkretes wollte aber keiner gewusst haben.

Ich denke erst mal, dass die Nachfrage das Angebot an „Paranoia“ reguliert, und fahre zur Demo „Preußen bleibt Scheiße“ nach Potsdam. Begrüßung durch einen Mix aus Fäkalgeräuschen und preußischen Märschen. Ästhetische Antipathie flammt auf! Im Tagtraum erscheint mir die „Antifa-Republik“: Ein Hippie-Punk-Wendland, unter ausgebeultem Unisex-Dresscode, mit hektarverschlingenden Vollwert-Volx-Küchen, unter permanenten Flugi-Gewittern und Sexismus-Debatten-Terror aus dem achtstöckigen Lautsprecher, dem so genannten „Lauti“. „Preußen . . . Militarismus!“ Korrekte Parole! Meine Paranoia klingt ab. Der „Lauti“ verkündet eine Totschlagfront aus Staat, rassistischen Normalos und Neonazis. Daraufhin erscheint mir im inneren Monolog eine „kleine Plenumsanfrage“ an die Antifa: „Liebe Genoss(inn)en: Kann es sein, dass Antifa als eine Restbastion der radikalen Linken manchmal die überdeterminierte Front fürs letzte Gefecht herbeihysterisiert? Habt ihr die Preußenliebe der DDR vergessen? Und das in Potsdam?“ Ich werde fotografiert, ein Antifa brüllt gezielt in mein Mikro. Vom „Lauti“ kracht der Klassiker des Punk-Idealismus, When the kids are united, wunderbar, Teenager pogen, die Vorhut stürmt los, Polizisten rennen, ein furioses Finale, die Polizei chillt aus, beruhigt durch sowjetische Partisanenhymnen.

In den nächsten Tagen zeigt Vater Staat eine überraschend informelle Seite: Oberstaatsanwalt und Staatsschutz suchen das Gespräch. Und angesichts parteiübergreifender Lügen, ja Paranoia, traditionell im Dienst der höchsten Sache, wünsche ich mir, gerade weil ich nach ein paar Wochen entsprechender staatlicher Betreuung bei der Potsdamer Antifa begeistert mitmarschieren würde, nicht zuletzt nachdem eine Antifa-Gruppe die von mir angewählten Internetadressen überprüft, wenigstens für ein paar Frühlingstage: Deutschland, geh mir aus der Sonne!

Peter Kessen (38) ist freier Rundfunkjournalist.