: Die Ersatzkassenjesusse
Der Kanzler und sein Künstler sprengen alle Vergleiche: Hirnriss wird Chefsache
Manche Politiker halten sich gern Künstler, die sich dann einbilden dürfen, sie hielten sich einen Politiker. Für das Buch „Rudolf Scharping – Der Profi“ (Econ 1994) schrieb Konstantin Wecker den Beitrag „Mein Freund Rudolf“: „Es sollte ein ganz inoffizielles, fast heimliches Treffen werden in der Toscana. Wir wollten mal wieder bei ein paar Flaschen guten Weines die Welt neu ordnen ... Seine reizende Frau Jutta war dabei, meine Freundin Kerstin und Jupp und Karl-Heinz, die Polizisten der Sondereinheit. Die beiden passen schon seit langem so unauffällig und dezent auf Rudolf Scharping auf, daß man sie zunächst für gute Bekannte hält und nicht für Bodyguards ... Ich kenne Rudolf auch als einen Menschen, der bis vier Uhr morgens meinen Geburtstag feiert und meine Freunde mit seinem Witz begeistert ... Wir werden uns sicher noch oft die eine oder andere Flasche Wein schmecken lassen und den Sicherheitsbeamten auf ein paar Stunden davonflutschen, um uns dann wie zwei kleine Buben diebisch zu freuen.“ Nachdem Wecker nicht für dieses Aftergerede und auch nicht für seine eingeölten Lieder, sondern bloß aufgrund der habituellen Einnahme von Nasenata kurzfristig aussortiert wurde, hält sich Scharping lieber an Hartmut Engler von Pur, der musikalisch und kopfmäßig sogar noch besser zu ihm passt: Beide, Scharping und Engler, vereinen in sich die leichenschauhaustaugliche Ausstrahlung mit dem hochaggressiven Minderwertigkeitskomplex des ewigen Reihenhausspießers.
Solange Oskar Lafontaine noch Wert auf große Popularität legte, konnte man ihn beim öffentlichen Aneinander-Herumkumpeln mit Peter Maffay sehen – ein ebenso unangenehmes wie in sich schlüssiges Bild. Als SPD-Mann warf die Frankfurter Künstlerquetsche Dr. Diether Dehm die grausamen Bots auf die Friedensbühnen des Landes; nach seinem Wechsel zur kleinen Schwester PDS versprach Dehm, auch dort „Künstler in Zukunft stärker anzubinden“. Man darf die Drohung wörtlich nehmen: Der Kälberstrick für andere ist Dehms Natur.
Gerhard Schröder hatte schon als niedersächsischer Ministerpräsident einen Hang zur Ohrenpein: Klaus Meine von den Scorpions war Schröders Tennispartner in Hannover, und gern feierte Schröder mit der Band, deren Musik an volle Schnürlederhosen denken lässt. Was die Scorpions in der Musik sind, ist Helmut Markworts Focus im Journalismus; aus dieser Münchner Recyclingtonne fischte sich Schröder Frau Köpf. Mit der er aber doch nicht so richtig angeben konnte, weshalb er zum guten alten Rock zurückkehrte: Auf Sat.1 bezichtigte sich Schröder freiwillig, ein „Fan“ von Marius Müller-Westernhagen zu sein; Anfang April durfte er ihm das Bundesverdienstkreuz in die Hand drücken. Westernhagen war stolz wie ein Primaner und lächelte artig; Schröder nannte ihn „einen vorbildlichen Bundesbürger“. Die Invektive war freundlich gemeint.
Einen Satz aber sprach, nein: verkündigte Gerhard Schröder, der bleiben wird, weil er alles verändert: „Das Album ‚Westernhagen‘ mit dem programmatischen Titel ‚Freiheit‘ sprengte alle Vergleiche.“ Das ist neu: Vergleiche gesprengt hat noch keiner, das macht Schröder und Westernhagen niemand nach. Was auch gar nicht nötig ist, denn wenn alle Vergleiche gesprengt sind, dann sind sie futsch, verschwunden, einfach weg. Für immer! Kohl machte das Gorbatschow = Goebbels-Hass-Fass auf – um Gorbatschow bald darauf „einen Freund der Deutschen zu nennen“, was dann ja auch Goebbels zum Freund der Deutschen machte. Egal, der Vergleich ist gesprengt, weg, adieu. Gerhard Schröder und Marius Müller-Westernhagen sind am Vergleichskreuz für uns gestorben: zwei wie T ’n’ T, zwei wie Dynamit. Die beiden Ersatzkassenjesusse schenken uns ewige Vergleichsabsolution. Alles dürfen wir nun mit allem vergleichen: Äpfel nennen wir Birnen, Mörder verunglimpfen wir als Soldaten, während wir Soldaten mit Lungenhaschee vergleichen, Kinderquatsch mit Michael Schanze und Sex mit Tieren.
Wir reimen „Stoiber-Wähler: / Kinderquäler!“ und „Christiansen ist Pansen“, singen „Klaus Landowsky, tschüssikowski!“ und trällern Funny van Dannens „Wir dachten schon die Welt ist schlecht und die Menschen würden immer blöder / aber jetzt sieht alles anders aus, danke, Gerhard Schröder.“ Bis uns ein blutjunger Indianer eine Weissagung ins Ohr flüstert: „Erst wenn der letzte Vergleich gesprengt ist, werdet ihr wissen, dass man seine eigene Dummheit nicht aufessen kann. Leider.“
Dann kommen wir so richtig hart drauf. Und vergleichen Marius Müller-Westernhagen mit Marius Müller-Westernhagen. Gerhard Schröder mit Gerhard Schröder. Und Rudolf Scharping mit Rudolf Scharping. Wären sie auch nur semihumanoid, es wäre ihr Ende. WIGLAF DROSTE
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