Potsdam streitet um sein „Superzeichen“

Seit eine „Traditionsgemeinschaft“ sich für den Wiederaufbau der berühmten Garnisonkirche stark macht und Millionen Mark dafür gesammelt hat, ist Potsdam gespalten: in solche, die das Symbol des Militarismus nicht mal geschenkt haben wollen, und andere, darunter die Stadtoberen, die dafür sind

von PHILIPP GESSLER

Max Klaar hat eine Mission. Sie begann mit einem Gebet. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs machte der 1941 in Berlin-Spandau geborene Klaar mit seiner Pfadfindergruppe Ausflüge ins Umland, auch nach Potsdam. Das alliierte Bombardement vom 14. April 1945 hatte das einstige Juwel unter Preußens Städten, umgeben von Parks, Seen und Schlössern, stark beschädigt. Nur noch eine Ruine war auch die Garnisonkirche. Hier betete der junge Max mit seinen Pfadfindern.

Ein Gebet mit Folgen, die heute die brandenburgische Landeshauptstadt entzweien. Denn Jahrzehnte nach dem spirituellen Erlebnis in der Ruine gründete Klaar als Kommandeur des Fallschirmjägerbataillon 271 im nordrhein-westfälischen Iserlohn 1984 mit seinen Kameraden die „Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel e. V.“. Ziel des Vereins war laut Satzung, die „Deutsche Frage“ im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu halten.

Vor allem aber wollte man das Glockenspiel der Garnisonkirche in seinem historischen Umfang von 40 Klangkörpern, zerstört im Bombenhagel, wieder errichten – denn gerade für die Melodien, die in ihrem Glockenturm erklangen, war die Garnisonkirche bekannt: darunter der Klassiker „Üb immer Treu und Redlichkeit“, nach einer Melodie aus Mozarts „Zauberflöte“.

Mit verbissener Treue hielten die Vereinsmitglieder auch an einem anderen Ziel fest: Sollte es zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten kommen, wollte man neben anderen historischen Bauten Potsdams vor allem die Garnisonkirche wieder errichten. Das Glockenspiel, das zum Nationalfeiertag am 17. Juni 1987 fertig war und der Bundeswehr in Iserlohn übergeben wurde, sollte wieder am historischen Ort erklingen.

Potsdam streitet ob des Danaergeschenks

Mit dem Fall der Mauer machten sich die heute etwa 230 Vereinsmitglieder sogleich daran, ihr satzungsmäßiges Ziel in die Tat umzusetzen – und das Problem begann. Am 14. April 1991 übergaben sie ihr Glockenspiel im Beisein von über 10.000 Festgästen der Stadt. Seitdem steht das Carillon nicht weit der Stadtmitte an der Plantage. Hinzu kam die emsige Sammeltätigkeit der Vereinsmitglieder, zu denen immer noch viele Soldaten gehören, die über acht Millionen Mark zum Wiederaufbau der Garnisonkirche zusammengetragen hatten. Und zwar mit Hilfe von etwa 6.000 Spendern, zu denen auch Altbundespräsident Richard von Weizsäcker gehört, der im Potsdamer Elite-Infanterieregiment Nr. 9 diente. Allein mit dieser Summe könnte man den Rohbau des einst über 88 Meter hohen Turms aufbauen, der früher ein Symbol der Residenzstadt bildete.

Die „Traditionsgemeinschaft“, die sich als Kirchbauverein versteht, ist heute bereit, diese Summe für den Bau zur Verfügung zu stellen. Aber statt eitel Freude herrscht in Potsdam ob dieses Danaergeschenks Streit.

In der Stadt, die sich derzeit mit der Bundesgartenschau herausputzt, wollen viele Bürger keine Wiederauferstehung dieses Gotteshauses – auch nicht geschenkt. Denn wie kein zweiter Bau in Deutschland symbolisiert die Garnisonkirche den preußischen Militarismus. „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. legte am 14. April 1734 den Grundstein für den imposanten Barockbau als Ort des Gebets für seine geliebten Soldaten in der Garnisonsstadt. Hier fand der alte Kommisskopp seine letzte Ruhe. Auch sein Sohn, Friedrich II., der später als „Friedrich der Große“ in die Geschichtsbücher einging, wurde hier beigesetzt – gegen seinen Willen. Mit diesen beiden Sarkophagen im Sakralraum wurde die Kirche zum Tempel preußisches Ruhmes: Trophäen der preußischen Eroberungszüge schmückten das Kirchenschiff.

Zur nationalen Weihestätte verkam das Gotteshaus, als die späteren Massenmörder dort den „Tag von Potsdam“ feierten. Bei dieser riesigen Propaganda-Show der Nazis, der feierlichen Eröffnung des Reichstages in der Kirche, begrüßte der gerade gewählte Reichskanzler Hitler am 21. März 1933 den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg vor der Garnisonkirche. Der artige Diener des früheren Gefreiten vor dem Weltkriegsgeneral sollte die Versöhnung der alten preußisch-konservativen Staatselite mit der nationalsozialistischen Proletenpartei symbolisieren. Es war ein Triumph für Hitler und neben dem berüchtigten Fackelmarsch durch das Brandenburger Tor das eigentliche Symbol seiner „Machtergreifung“. Ein Plakat zu dieser nationalen Weihestunde feierte damals Potsdam als „Geburtsstadt der Bewegung“.

Zwei Tage nach diesem Schauspiel konnte Hitler dank der Zustimmung der bürgerlichen Parteien im Reichstag das Ermächtigungsgesetz durchdrücken: Die Demokratie hatte abgedankt, die Diktatur war etabliert. Das schwingt seitdem mit beim Namen Garnisonkirche. Und so ist es kein Zufall, dass Walter Ulbricht 1968 die Ruine, die nach dem Krieg noch als Kapelle diente, ebenso wie das Hohenzollernschloss in Berlin, abreißen ließ.

Der „Traditonsgemeinschaft“-Initiator Klaar, heute Oberstleutnant der Bundeswehr im Ruhestand, hat keine Probleme mit dem Preußentum samt seinen Schattenseiten. Und auf die Wehrmacht der NS-Zeit lässt er auch nichts kommen. In einem Rundbrief vom Juni vergangenen Jahres, zu finden auf der Homepage seines Vereins, wettert der Offizier i. R. über die „Wehrmachtsausstellung“, die den Mythos der „weißen Weste“ von Hitlers Armee zunichte machte und den deutschen Truppen nachwies, bei ihrem Feldzügen im Osten zwischen 1941 und 1945 einen Vernichtungskrieg geführt zu haben. Das empört Klaar: „Man spuckt nicht auf die Gräber der Tapferen, die doch nur auf Befehl der Politik ihr Leben gaben“, schreibt er im Internet.

Und damit nicht genug. In offensichtlicher Nachahmung des umstrittenen Faschismusforschers Ernst Nolte, der den „Historikerstreit“ vom Zaun brach und Auschwitz am liebsten in Frageform und mit Andeutungen zu relativieren sucht, reiht Klaar in diesem Rundbrief bald ein Dutzend Fragen solchen Kalibers aneinander: „Ist es denn unwahr, dass der polnische Staatschef Ridz Smigli im Frühjahr 1939 in Krakau vor Offizieren sagte: ‚Meine Herren, es gibt Krieg, ob die Deutschen wollen oder nicht!‘ Ist es denn unwahr, dass der britische Außenminister nach dem deutschen Einmarsch in Polen gesagt hat: ‚Endlich haben wir Hitler zum Krieg gezwungen, so dass er nicht mehr einen Teil des Versailler Vertrages nach dem anderen außer Kraft setzen kann.‘?“ Angesichts dieses Tonfalls nimmt es nicht wunder, dass Klaar sich vor 1989 auch für eine Wiedervereinigung Deutschlands in den Grenzen von 1937 aussprach – Aussagen, auf die man im Verein heute nicht mehr so gern zu sprechen kommt.

Trotzdem: Die „Traditionsgemeinschaft“ ist wichtig geworden für die Stadt Potsdam und das Land Brandenburg. So spendete der Verein 10.000 Mark für das Fundament des Fortunaportals des gesprengten Potsdamer Stadtschlosses, das ebenfalls wieder aufgebaut werden soll. Potsdams Oberbürgermeister Matthias Platzeck, einer der SPD-Hoffnungsträger in Ostdeutschland und oft genannter Kronprinz von Landesvater Manfred Stolpe, tut da gerne mit. Im vergangenen Jahr signalisierte er vor den Stadtverordneten: „Für mich gehört der Baukörper des Stadtschlosses genauso wieder in die Mitte wie der Turm der Garnisonkirche.“ Sein Baustadtrat Michael Stojan schrieb der „Traditionsgemeinschaft“, die Melodie „Üb immer Treu und Redlichkeit“ sollte „wieder wie einst aus großer Höhe über das Havelland klingen und wirken“.

Auch Ministerpräsident Stolpe, der schon 1968 als Kirchenfunktionär die Sprengung der Ruine zu verhindern suchte, findet zustimmende Worte zur Arbeit des Vereins: „Ich freue mich über diese sympathische Initiative“, wird er in der Berliner Morgenpost zitiert. Jörg Schönbohm, Ex-Bundeswehrgeneral, CDU-Landeschef und Innenminister Brandenburgs, macht regelrecht Werbung für den Verein: In einem Interview mit der Reservisten-Zeitschrift loyal erklärte er zur Garnisonkirche: „Ich halte den Wiederaufbau des Turms mit seiner Symbolkraft für eine Aufgabe von großer nationaler Bedeutung und mit internationaler Wirkung.“ Er ruft zugleich zu Spenden für den Verein auf.

OB Platzeck: Kein Wallfahrtsort für Rechte

Gegenwärtig prüft die Landesregierung, „das Wiederaufbauwerk mit einem Spendenaufruf des Landes zu fördern“. Die Idee des Vereins, nach der Vollendung des Baus, für die weitere Arbeit eine Stiftung zu gründen, begrüßt Schönbohm und spricht sich dafür aus, sie „Friedrich-Wilhelm I.-Stiftung“ zu nennen. Mit dem Wiederaufbau des Potsdamer Stadtschloss und des Turms der Garnisonkirche werde der Stadt zu neuem Leben verholfen und „wir stiften einen neuen und zugleich alten Identitäts- und Integrationspunkt“.

Dass sich allerdings auch die falschen Leute an diesem verflixten Ort ihre Identität stärken könnten, hat OB Platzeck erkannt: Die Kirche dürfe auf keinen Fall eine Pilgerstätte für Rechtsextremisten werden, betont er. Durch einen „möglichst demokratischen Entscheidungsprozess“ sollten solche Kräfte „keine Chance zum Umdeuten“ des Gotteshauses haben, fordert der SPD-Politiker. Er zeigt Sympathie für die Idee, dort etwa ein Friedensforschungszentrum einzurichten.

Wie gebannt warten die Parteien der Stadt unterdessen darauf, was die evangelische Landeskirche zu einem möglichen Wiederaufbau des Turms (oder gar der ganzen Kirche) sagt. Die Kirchenoberen haben eine 13-köpfige Arbeitsgruppe eingesetzt, die klären soll, ob man das Geschenk der „Traditionsgemeinschaft“ annehmen soll oder nicht. Denn auch für die Kirche ist die Garnisonkirche ein besonderer Ort, seitdem hier 1817 ein Jahrhunderte währender innerprotestantischer Streit beigelegt werden konnte. Vikar Martin Vogel, einer von zwei Gutachtern in der Arbeitsgruppe, hält die Sorge für „berechtigt“, dass ein wieder aufgebauter Turm Militaristen oder Neonazis anlocken könnte. Man sei in der Arbeitsgruppe am Diskutieren, ob man dieses „Superzeichen der Geschichte“ nicht aufnehmen und wandeln könne – bis zur Idee der Einrichtung eines Büros für Wehrdienstverweigerer reichen die Überlegungen.

Die Aufbaugegner werden weniger

Bisher stand der Kirchenkreis einem Wiederaufbau eher kritisch gegenüber. Aber seit der letzten Synode im Herbst scheint sich ein Stimmungswandel abzuzeichnen: Ein Vereinsmitglied und Synodaler, so wurde in der Lokalpresse berichtet, habe seinen Mitbrüdern und -schwestern die Pistole auf die Brust gesetzt: Entweder die Kirche stehe „an der Spitze der Bewegung“ zum Wiederaufbau – oder die Millionenspende gehe an ihr vorbei in den Topf zur Wiederherstellung des Potsdamer Stadtschlosses.

So wankt die Front der Gegner des Turmbaus. Selbst die PDS, lange Zeit klar gegen das Projekt, kann sich mittlerweile einen Wiederaufbau vorstellen – aber nur, wie der PDS-Fraktionsvorsitzende im Stadtparlament, Hans-Jürgen Schafenberg betont, wenn ein Nutzungskonzept der Kirche etwa als Friedenszentrum vorliege und ein anschließender Bürgerentscheid ein deutliches Votum dafür gebe.

Sein ehemaliger PDS-Kollege im Bundestag, Gregor Gysi, hatte Ende März diese neue Linie mit der Aussage vorgegeben, Befürchtungen, die Kirche könne ein Wallfahrtsort für Militaristen werden, sprächen nicht gegen den Wiederaufbau: „Das Bild einer Stadt lebt von neuen und alten Gebäuden.“

Immerhin eine Gruppe, die „Kampagne gegen die Wehrpflicht“, die angesichts des „Preußenjahres“ in Potsdam an der Demonstration „Preußen bleibt scheiße“ beteiligt war, sträubt sich klar gegen jeden Wiederaufbau. Schließlich sei die Garnisonkirche „die preußische Militärkirche“ gewesen, sagt Gregor Schliepe, ein Sprecher der „Kampagne“. Vorstellungen, man könne durch eine andere Nutzung den Militaristen und Nazis ihr Symbol „wegnehmen“, seien doch „sehr blauäugig“.

Vikar Vogel will mit seinen Kollegen frühestens im September ein Nutzungskonzept vorlegen, das dann in den Synoden des Kirchenkreises und der Landeskirche diskutiert werden müsse. Zu welchem Votum man sich durchringen werde, sei aber noch völlig offen, erklärt er. Kritisch äußert sich der Geistliche aber über manche Äußerungen Klaars: Wenn jemand von der Wiederherstellung der Grenzen von 1937 rede, seien das „Töne, die uns zweifeln lassen, ob das Projekt gelingen könnte“. Oder wie heißt es so schön im Lied „Üb immer Treu und Redlichkeit“: „Dem Bösewicht wird alles schwer, er tue, was er tu’.“