Chebaa: Krieg um einen Acker im Dreiländereck

Der nicht geklärte Status des israelischen Militärpostens Chebaa hielt Israel von Vergeltungsangriffen auf libanesisches Territorium ab. Bis jetzt

BERLIN taz ■ Wenige Wochen nach dem Rückzug der israelischen Besatzungstruppen aus dem Südlibanon im Mai 2000 begannen Kartografen und UNO-Soldaten unter den misstrauischen Blicken libanesischer Beobachter, die von den Israelis neu gezogene Grenze zwischen dem Libanon und Israel festzuhalten. Die UNO-Resolution 425 verlangte den vollständigen Rückzug Israels aus dem Südlibanon. Nach 22 Jahren Besatzung hatte Israel diesen Rückzug angetreten, vor allem weil die Angriffe der schiitischen Guerilla Hisbullah, Partei Gottes, immer mehr Tote unter israelischen Soldaten gefordert hatten.

An manchen Stellen kam es zu Auseinandersetzungen – überall dort, wo die Israelis den Grenzzaun nach Ansicht der Libanesen nicht den alten Plänen gemäß gezogen hatten, sondern geostrategischen Interessen gefolgt waren. Der Hauptstreitpunkt entwickelte sich dabei um Chebaa, einen etwa 10 Quadratkilometer großen Acker auf dem Golan, am Dreiländereck Syrien, Libanon und Israel, heute ein israelischer Militärposten, der vor dem gestrigen Luftangriff von Hisbullah-Milizen beschossen worden war. Während Israel darauf verwies, dass es dieses Gebiet 1967 auf Syrien erobert habe, behaupteten die Libanesen – und vorneweg die Hisbullah –, Chebaa sei libanesisches Territorium.

Syrien hielt sich zunächst bedeckt, schloss sich aber schließlich der libanesischen Sichtweise an. Die UNO hingegen vertrat die Ansicht, es handele sich um syrisches Hoheitsgebiet. De facto scheint es so zu sein, dass das Territorium zwar seit langer Zeit von libanesischen Bauern gepachtet wird, jedoch Teil des syrischen Territoriums ist.

Die Hisbullah baute die Behauptung, Chebaa sei libanesisch und müsse befreit werden, schnell zum Hauptargument für ihre Weigerung aus, die Waffen niederzulegen. Noch sei der israelische Rückzug nicht vollständig und deshalb müsse sie auch den Widerstand gegen Israel fortführen, erklärte sie. In der Folgezeit griff die Hisbullah immer wieder israelische militärische Einrichtungen in Chebaa an. Im Oktober 2000, kurz nach Beginn der Al-Aqsa-Intifada, entführte sie sogar drei israelische Soldaten von dort und verlangte, bislang erfolglos, deren Austausch gegen 19 libanesische und mehrere palästinensische Gefangene aus Israel.

Die Angriffe auf Chebaa waren in mehrerer Hinsicht geschickt gewählt: Ein Beschuss des nordisraelischen Örtchens Metulla hätte nach dem Rückzug aus dem Südlibanon sicher größere Vergeltungsaktionen seitens der Israelis nach sich gezogen. Doch da sich nach dem Rückzug Israels im Libanon die Stimmen gemehrt hatten, die eine Beendigung des bewaffneten Kampfes und der damit verbundenen Spannungen im Land forderten, konnte die Guerilla im Falle israelischer Vergeltungsschläge gegen den Libanon nicht auf breite Unterstützung der libanesischen Bevölkerung rechnen. Angriffe auf Chebaa liefen jedoch unter dem Motto einer „Rückeroberung“ nationalen Territoriums und waren insofern nicht kritisierbar. Ferner machte der international nicht ganz geklärte Status zumindest während der Regierungszeit des Scharon-Vorgängers Ehud Barak massive Vergeltungsangriffe auf libanesisches Territorium unwahrscheinlich. Bis jetzt.

ANTJE BAUER