Schlüssel Forschung

Mit einer Forschungsoffensive will Wolfgang Thierse dem Osten wirtschaftlich endlich auf die Beine helfen

BERLIN taz ■ Mit seinem Thesenpapier hatte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse im Januar vor allem die eigenen Genossen im Blick. Doch die Mahnung, der Osten stehe wirtschaftlich auf der Kippe, war bei Kanzler Gerhard Schröder und dessen Ostbeauftragten Rolf Schwanitz nicht gut angekommen. Gestern meldete sich Thierse erneut zu Wort. Er erwarte, dass Bundesregierung und Ministerpräsidenten der neuen Länder bis zur Sommerpause konkrete Projekte zur Lösung der ostdeutschen Wirtschaftsprobleme vereinbaren.

Der Bundestagspräsident schaltete sich damit in die Debatte um die anhaltende Abwanderung von Ostdeutschen in den Westen ein, die als eine Ursache für wirtschaftliche Schwäche und gesellschaftliche Schwierigkeiten im Osten gilt. Ein Infrastrukturprogramm müsse her, so Thierse, um die Forschung in Ostdeutschland anzukurbeln. Der Hauptakzent solle auf den Kommunen liegen. Es reiche nicht, einmal ein paar hundert Millionen „rüberzureichen“. In den 90er-Jahren seien 90 Prozent der industrienahen Forschungs- und Entwicklungskapazitäten in den neuen Ländern „abgewickelt“ worden. Die großen Denkfabriken befänden sich im Westen. Daher müsse mit staatlicher Hilfe gegengesteuert werden.

Die Abwanderung, befand Staatsminister Schwanitz jedoch gestern, dürfe nicht überbewertet werden. Prompt warf die stellvertretende FDP-Vorsitzende Cornelia Pieper Schwanitz vor, die Abwanderung durch die „rosarote Brille“ zu betrachten. Der Bund müsse mehr tun, um Ostdeutschland für die Jugend attraktiv zu machen.

Dass dem vollmundigen Wahlversprechen, das Thema Ostpolitik zur Chefsache zu machen, bisher keine Taten folgten, finden selbst SPD-Abgeordnete. Der Blick werde zu wenig auf die Forschungsförderung gerichtet, glaubt Ulrich Kasparick, Berichterstatter für Ost-Forschung im Bundestagsausschuss für Bildung und Forschung. 152 Universitäten, Fachhochschulen und Institute in Ostdeutschland hat er in den vergangenen beiden Jahren bereist. Seine Bilanz: „Forschung ist der Schlüssel zu mehr Wachstum.“ Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen hätten es vorgemacht. Spezialisierung lautet das Zauberwort. „In Regionen, die wie Magdeburg oder Schwerin bisher hintenherhängen, muss der Bund daher noch mal richtig Geld stecken.“ Im Herbst hat er die Kollegen aus der Arbeitsgruppe Bildung und Forschung zum Brainstorming zusammengetrommelt. Doch das eigentliche Problem liege woanders: In den Länderparlamenten säßen nicht immer die klügsten Köpfe in Sachen Forschungspolitik.

NICOLE MASCHLER