Traditionell ein wichtiger Wirtschaftsfaktor

Das Unrechtsbewusstsein in Bezug auf den Kinderhandel ist in Westafrika kaum ausgeprägt. Nun mischt sich die Unicef ein

BERLIN taz ■ Während die Hafenbehörden mehrerer westafrikanischer Küstenländer in den letzten Tagen nach dem mysteriösen Kinderschiff Ausschau hielten, diskutierten in Niamey, Hauptstadt des Sahelstaates Niger, hundert traditionelle Führer aus verschiedenen Staaten der Region über den Schutz von Minderjährigen. Unter der Ägide des UN-Kinderhilfswerks Unicef entstand so eine „Subregionale Koalition der Chiefs“. Und zuallererst werden sich die Stammesführer mal Videogeräte kaufen, um, wie es im Bericht der Panafrikanischen Nachrichtenagentur Pana heißt, „ihre Sensibilisierungs- und Mobilisierungsbemühungen zu stärken“.

Es ist nicht leicht, westafrikanische Staaten zu Maßnahmen gegen Kinderausbeutung zu bewegen. In den extrem mobilen Gesellschaften der Region mit ihren weit verzweigten Großfamilien ist es nicht verpönt, Kinder zwecks Ausbildung und Erweiterung des Horizonts zu entfernten Verwandten zu schicken, in Internate zu stecken oder früh zu bezahlter Arbeit zu bewegen.

Allein in Kamerun gibt es nach einer Länderstudie der Internationalen Arbeitsorganisation ILO etwa 610.200 arbeitende Kinder – das ist ein Siebtel der arbeitsfähigen Bevölkerung. 513.500 davon sind Handelsware. Ein Drittel davon arbeiten als Hausangestellte, ein Fünftel als Straßenverkäufer. Hinzu kommt die Tradition der frühen Heirat. Die Hälfte aller westafrikanischen Mädchen werden verheiratet und damit von einer Familie in eine andere versandt, bevor sie neunzehn Jahre alt sind.

Seit einiger Zeit sind immer mehr professionelle Kinderhändler in diesem Bereich aktiv. Sie empfehlen sich Eltern als „Mittelsmänner“, die gegen Bezahlung bessere Beziehungen und Aufstiegsmöglichkeiten beschaffen können. Die ihnen aus gutem Glauben oder wirtschaftlicher Not anvertrauten Sprösslinge verkaufen sie dann an skrupellose Geschäftsleute, die sie auf Plantagen oder in reichen Haushalten einsetzen. Dort werden sie missbraucht oder schuften sich zu Tode. Es ist diese kommerzielle Tätigkeit, die nun endlich ins Visier der Regierungen gerät.

Historisch sind die Binnenländer der Sahelregion Kinderexporteure und die Küstenländer -importeure. So arbeiten zum Beispiel tausende Kinder aus Mali auf den Kakaoplantagen der Elfenbeinküste. Zu dieser geografischen Aufteilung kommt inzwischen eine ökonomische: Die relativ reichen Länder Elfenbeinküste, Gabun und Nigeria ziehen Kinderarbeiter aus den ärmeren Ländern Benin, Burkina Faso, Mali und Togo an. Die neuen komplexeren Handelsströme begünstigen auch Kamerun und Äquatorialguinea, als Transitländer in alle Himmelsrichtungen.

Staatliche Maßnahmen gegen den Kinderhandel stehen erst am Anfang. Juli 1998 fand in Benin das erste regionale Expertentreffen zum Thema statt, gefolgt von einem Politikertreffen in Gabun im Februar 2000. Dabei wurde klar, dass erst einmal die entsprechenden Gesetze verabschiedet werden müssen, bevor Kinderhandel als Delikt verfolgt werden kann. Vielversprechender erscheinen bilaterale Abmachungen wie das zwischen Mali und der Elfenbeinküste, das die Repatriierung minderjähriger malischer Zwangsarbeiter aus den Plantagen der Elfenbeinküste vorsieht. Aber solche Initiativen sind Tropfen auf den heißen Stein, da jedes Jahr Tausende westafrikanische Kinder als Handelsware ihre Heimat verlieren.

Einen Schritt weiter ging Afrika im vergangenen Februar, als die erste panafrikanische Konferenz gegen Menschenhandel in Nigeria stattfand. Nigerias Präsident Olusegun Obasanjo wandte sich in scharfen Worten gegen den „modernen Sklavenhandel“. Zugleich aber berichteten nigerianische Zeitungen, die Zahl vermisst gemeldeter Kinder in Nigerias brodelnden Metropolen steige weiter rapide an.

DOMINIC JOHNSON