„Hier wird ein Spiel gespielt“

Die internationale Öffentlichkeit ist auf unserer Seite. Ich bin davon überzeugt, dass wir es schaffen werden.

Interview: MARTINA SCHWIKOWSKI

taz: Gestern wurde der Prozess, den der Verband der Pharmaindustrie in Südafrika im Streit um billige Aids-Medikamente gegen die Regierung angestrengt hat, erst einmal ausgesetzt. Die Treatment Action Campaign (TAC), deren Vorsitzender Sie sind, unterstützt die Absicht der Regierung, den Zugang zu billigeren Aids-Medikamenten möglich zu machen. In der Vergangenheit hat TAC jedoch die Regierung heftig kritisiert, nicht genug im Kampf gegen Aids getan zu haben. Wo hat sie versagt?

Zackie Achmat: Zunächst gab es sehr positive Ansätze. Als die ANC-Regierung 1994 an die Macht kam, hatte Gesundheitsministerin Nkosasana Zuma eine Idee, was mit dem Gesundheitssystem passieren soll. Als Erstes setzte sie ein Gesetz durch, das Frauen das Recht zum Schwangerschaftsabruch gab. Das brachte ihr viele Feinde in religiösen Organisationen ein, selbst ihrer eigenen Kirche. Mit dem zweiten Schritt handelte sie sich Feinde in der mächtigen Tabakindustrie ein: Sie verbannte das Rauchen per Gesetz von öffentlichen Plätzen. Und dann verärgerte sie viele Ärzte, indem sie anordnete, dass junge Mediziner nach ihrer teuren Ausbildung ein Jahr in unterentwickelten Gebieten arbeiten und eine Art Service für die ärmeren Gemeinden leisten müssen. Dann stritt sie mit privaten Krankenversicherungen und erreichte, dass Menschen mit chronischen Krankheiten, wie zum Beispiel Aids, aufgenommen werden müssen. Und als nächstes hatte sie die Pharmaindustrie gegen sich, als sie versuchte, per Gesetz zu garantieren, dass Medikamente billiger werden müssen. Aus heutiger Sicht muss ich sagen, dass Leute wie ich, aus der Gemeinschaft der Aids-Kranken, sie damals nicht genug unterstützten, weil wir nicht verstanden hatten, was die Ministerin eigentlich vorhatte. Es gab eine Menge Misstrauen zwischen der Ministerin und den Aidsorganisationen.

Nkosasana Zuma ist nicht mehr im Amt. Was hat denn ihre Nachfolgerin Dr. Manto Tshabalala-Msimang nicht im Griff?

Sie hat nicht die geringste Vision. Es ist ein absoluter Skandal, dass das Medikament Nevirapine schwangeren Frauen nicht verabreicht wird, um die Übertragung des HI-Virus auf das Neugeborene zu reduzieren. Das Kabinett soll darüber entscheiden, doch dort hat niemand Kenntnis, ob das Produkt gut oder sicher ist. Wissenschaftliche Experten behaupten, es sei anzuwenden.

Gibt es nicht bereits Projekte im Land, dieses Medikament schwangeren Frauen zu verabreichen?

Nein. Sie sind überall gestoppt worden – mit Ausnahme in der Provinz West-Kap (die nicht vom ANC regiert wird, d. Red). Denn niemand in der Regierung hat den Mut, sich gegen die Ministerin und den Präsidenten aufzulehnen. Und die Ministerin fällt keine medizinischen Entscheidungen, sondern politische.

Doch es gibt auch positive Aspekte in der Regierungsarbeit zum Thema Aids. Ein Gesetz schützt aidskranke Arbeitnehmer gegen Diskriminierung und garantiert das Recht, in eine Krankenversicherung einzutreten. Die muss sogar ein Minimum an Medikamenten zahlen.

Doch in Hinsicht auf wirklich Behandlung von Aids-Kranken – was ist versäumt worden?

Es ist schrecklich. Seit wir die Treatment Action Campaign vor zwei Jahren gegründet haben, fordern wir Richtlinien zur Behandlung auftretender Infektionen. Es hat zwei Jahre gedauert, bis sie auf dem Papier standen. Doch bis heute haben viele Krankenhäuser, Ärzte und Schwestern noch keine Kopie gesehen. Und die Medikamente zur Behandlung von Aids sind nicht vorhanden. Auch haben viele Ärzte und Schwestern noch nichts von Aids gelesen, da es zuzeiten ihrer Ausbildung nicht in den Lehrbüchern stand. Südafrika ist mit der schlimmsten Gesundheitskrise seiner Geschichte konfroniert, aber die Gesundheitsausgaben sind in den vergangenen fünf Jahren gesunken.

Was hätte konkret getan werden müssen?

Jede Kraft im Gesundheitssektor hätte besser über Aids informiert und ausgebildet werden müssen. Unter dem bestehenden Patentgesetz wäre es außerdem möglich, die Preise für vorhandene Medizin zu reduzieren und den Einsatz von Anti-Aids-Medikamenten zur Verhinderung der Virusübertragung zuzulassen. Am wichtigsten ist es jedoch, einen Kostenplan aufzustellen. Wir fordern klare Aussagen zu Ausgaben, die Einrichtung der notwendigen Infrastruktur wie Transportmöglichkeiten, Medikamentenlager und Labors, Kommunikation. Dazu Einstellung von mehr Ärzten und Schwestern sowie Mittelbeschaffung aus dem privaten Sektor oder auch aus Spenden.

Wichtig ist ebenfalls eine Umverteilung innerhalb des Staatshaushalts. Die Regierung sollte nicht so viel Geld für Rüstung und für Schuldenrückzahlung ausgeben. Bedeutend ist auch eine grundlegende Unterstützung für Einkommensschwache. Die Arbeitslosigkeit liegt nach einer weit gefassten Definition bei 42 Prozent in diesem Land, im engeren Sinne bei 33 Prozent. Viele dieser Menschen werden HIV-positiv sein und können ihre Medizin nicht auf nüchternen Magen nehmen. Die Zahl der Aids-Waisen steigt enorm. Die Regierung hat mit der Demokratie ein Desaster geerbt – und 17 einzelne Gesundheitsabteilungen, die zu einem funktionierenden Ministerium vereint werden mussten. Dann kam Aids, und nun wünscht die Regierung verzweifelt, es würde einfach weggehen. Diese Position ist katastrophal für das Land.

Die Pharmaindustrie behauptet, die südafrikanische Regierung habe nie ernsthaft über günstigere Preise verhandelt, obwohl Hersteller Preise gesenkt oder in bestimmten Fällen Produkte umsonst angeboten hätten.

Hersteller haben der Regierung tatsächlich Medikamente als Spenden angeboten. Dahinter steckt die Absicht, gut dazustehen. Eine Art PR-Kampagne. Die Regierung hatte keinen Mut, diesen Bluff auffliegen zu lassen. Beiden Seiten haben im falschen Glauben gehandelt.

Das bedeutet, beide Seiten spielen ein Spiel in der Krise?

Ja, es ist ein Spiel. Und deswegen vertreten wir vor Gericht die Interessen der Menschen mit HIV, die sich um das Gesundheitssystem Sorgen machen.

In diesem Gerichtsverfahren erhielt Ihre Organisation eine Schlüsselrolle: Sie ist als Sachverständige zugelassen worden. Was sind die Erwartungen hinter dieser Verpflichtung?

Wir erklären, wie Menschen sterben, was Medikamente bewirken können. Zuvor haben beide Parteien lediglich juristische Argumente ausgetauscht. Zum Beispiel ist eines unserer ersten Argumente, dass es um Würde und Leben geht. Die Pharmabetriebe behaupten, die Regierung beachte nicht das Trips-Abkommen (internationales Patentschutzabkommen, d. Red). Wir sind da anderer Meinung. Im Streitfall um Handelsabkommen und medizinische Versorgung muss der Handel in den Hintergrund treten.

Die Regierung hat stets argumentiert, auch falls die Pharmabetriebe die Preise weiter senken würden, könne Südafrika die Bevölkerung nicht mit Medikamenten versorgen. Auch wolle die Regierung nicht von den multinationalen Konzernen abhängig werden.

Wir denken auch, Spenden sind nicht der richtige Weg. Aber Preisreduzierungen sind ausschlaggebend, und Pharmahersteller müssen nicht mit der Regierung verhandeln, um Preise zu senken, sondern es einfach nur tun. Bei Spenden ist es schwieriger, denn sie müssen nach Vorgaben verteilt werden.

Hat die Treatment Action Campaign mit den Multis verhandelt?

Wir haben es immer versucht und vorgeschlagen, die Klausel, die den Import billiger Anti-Aids-Mittel erlaubt, neu zu formulieren und dabei günstige Medikamente zu garantieren. Dann wollten wir dafür öffentliche Aktionen starten. Doch ein Treffen kam nie zustande. Die Konzerne wollen einfach ihr Monopol nicht verlieren. Ihnen ist klar: Falls Südafrika diesen Fall gewinnt, gilt das als Präzedenzfall für alle Entwicklungsländer. Länder wie Brasilien und die Philippinen haben ähnliche Methoden angewandt, doch Südafrika besitzt eine starke Führungsrolle.

In Südafrika leben 4,7 Millionen Menschen mit HIV/Aids. Sind Sie zuversichtlich, dass der Kampf gegen diese Epidemie gewonnen werden kann?

Ja. Ich glaube, wir sind sehr weit gekommen in einer kurzen Zeit. Ich hätte nie gedacht, dass die Medikamentenhersteller so schnell die Preise senken würden, wie zum Teil bereits geschehen ist. Die internationale Öffentlichkeit ist gegen sie. Ich bin davon überzeugt, dass wir es schaffen werden.