Kosmopolit in Oldenburgischer Landschaft

■ Für den Komponisten Gustavo Becerra-Schmidt war Musik immer etwas Politisches. Jetzt ist er 75 geworden. Seine Wahlheimat Oldenburg widmet ihm ein Festival

Im Alter von 46 Jahren war er, geschickt von der Regierung Salvador Allendes, Kultur- und Presseattaché an der Chilenischen Botschaft in der damaligen Bundesrepublik. Damals passierte es: Pinochet putschte 1973, und der mehrfach preisgekrönte Komponist Gustavo Becerra-Schmidt wurde aus dem Diplomatischen Dienst und seiner Lehrtätigkeit an der Universidad de Chile entlassen. Er blieb und wurde an der Universität Oldenburg in den Fächern Analyse, Komposition und Musiktheorie wissenschaftlicher Mitarbeiter und später Professor. Nach dem Ende der Ära Pinochet komponierte und unterrichtete er wieder viel in Chile, ohne jedoch zurückzugehen. Ihn hielt das politische Interesse von StudentInnen. „Die Studenten“, sagt Becerra-Schmidt, „wollten von mir etwas lernen, nicht nur in technischer Hinsicht.“

Und so entstand in fast 30 Jahren ein fest in der Oldenburger Landschaft verwurzeltes Werk, das hauptsächlich von Becerras-Schmidts politischem und kosmopolitischem Geist geprägt ist. Er muss ein wunderbarer Lehrer gewesen sein, der seinen StudentInnen stets in vielfältige Blickwinkel gegenüber einer Komposition einführte und zum selbständigen Denken anleitete. So sagt sein Schüler Kai Leinweber: „Wenn wir uns einem Thema widmeten, dann wurde nicht zuerst die gängige Literatur bemüht, sondern wir mussten selbst, gemeinschaftlich unser Analyseinstrumentarium entwickeln.“ Und der Komponist Roland Schmenner erinnert sich an die „ungewohnte Offenheit“, mit der Becerra-Schmidt jegliches Dogmatische vermied.

Nun wird der chilenische Oldenburger oder der Oldenburger Chilene 75 Jahre alt, und aus diesem Anlass gibt es ein dreitägiges Festival mit durchweg namhaften MusikerInnen, das den ganzen stilistische Reichtum von Becerra-Schmidts Ästhetik eindrucksvoll zeigt. Freitag um 20 Uhr interpretieren das Oh-Ton-Ensemble und das Ensemble L'Art pour L'Art in der Aula der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg größer besetzte Kammermusik. Samstag um 18 Uhr findet ebenfalls in der Aula ein Kammermusikkonzert statt, das um 19.30 mit einem Chor-Konzert fortgesetzt wird. Titel und Textgrundlagen allein zeigen deutlich, wo das Komponieren von Becerra-Schmidt verwurzelt ist: in der politischen Stellungnahme und in der Musik seiner Heimat – dies allerdings nicht im Sinne des Bewahrens einer Folklore, sondern interkultureller Austauschprozesse: „Singen wann“ (Text von Erich Fried), „Revolución“ (Text von Becerra-Schmidt) und „Wie das politische Singen geschieht“ (Text von Rüdiger Härtlein nach Erich Fried: Hier handelt es sich um eine Uraufführung). Um 21 Uhr bieten die ehemaligen Schüler Jens Carstensen und Jan Peter E.R. Sonntag, beide schon erfolgreich aufgetreten bei der Bremer „Pro Musica Nova“, „Raummusiken“. Am Sonntag gibt es um 11 Uhr im Kammermusiksaal der Universität wiederum eine Kammermusikmatinee für Cello und Klavier.

Der Geburtstagsgratulation für Gustavo Becerra-Schmidt möchten wir uns gerne anschließen, denn es ist unvergessen, was er mit seiner politischen Ästhetik für jeden, der ihn kennt, bewirkt hat: ständiges Nachdenken über den Zusammenhang von Kunst und Gesellschaft.

Ute Schalz-Laurenze

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