Du, danke, FC Bayern

Selbst die Psychotricks von Manchester United können die Münchner nicht vom 2:1-Sieg abhalten und aus der Champions League befördern. Vielmehr wartet im Halbfinale nun das nächste Trauma

aus München THOMAS BECKER

Der schon wieder: Oliver Kahn. Geht zu Boden statt die Arme hochzureißen. Niedergedrückt von doppelzentnerschwerer Psycho-Last und vom besonderen Manchester-Gefühl sank der Bayern-Keeper nach dem Schlusspfiff auf die Knie, stützte sich auf die Hände und ließ den Kopf hängen. Sehen so Sieger aus? Spieler, die gerade Marktführer Manchester United aus dem Wettbewerb komplimentiert und angeblich 150.000 Mark Siegprämie verdient haben? Auch als Kahn als Letzter von der Ehrenrunde Richtung Kabine marschierte, waren seine Gesichtszüge noch eher steinern denn gelöst. Kahn war platt, getroffen an Geist und Körper. Zuerst der Zusammenstoß mit Andy Cole, wonach er ein paar Minuten bewusstlos auf dem Rasen verbrachte, und dann dieser Déjà-vu-Psychohorror nach dem 2:1 – Elber (5.) und Scholl (39.) hatten zuvor für die Bayern getroffen – durch Ryan Giggs kurz nach der Pause.

„Was sich da im Unterbewusstsein abspielt, brauche ich wohl nicht zu sagen.“ Der Barcelona-Film lief mal wieder vor seinen Augen ab, und den 60.000 im Stadion ging es wohl ähnlich, als in Halbzeit zwei eine Flanke nach der anderen in den Strafraum der Bayern segelte. Jedes Strafraumgetümmel ein Albtraum, jeder Torschuss ein Adrenalinschock. „Während des Spiels hat man keine Angst“, sagte Kahn, „die kommt erst drei, vier Stunden später.“ Aber wie nennt man das, was bei RTL in Superzeitlupe in Kahns Augen zu sehen war, als das Schreckgespenst Teddy Sheringham um ein Haar wieder zugeschlagen hätte? „Der Ferguson hat geschickt auf die psychologische Situation gesetzt und ausgerechnet Sheringham und Solskjaer eingewechselt“, analysierte Kahn.

Der Druck auf die Bayern war groß vor der Partie. „Viele haben gehofft, dass wir uns eine Niederlage leisten würden. Aber die Mannschaft hat hervorragend geantwortet“, konstatierte Manager Uli Hoeneß, schob aber gleich etwas übellaunig nach: „Wir sind schon zufrieden. Ich glaube aber nicht, dass die Leistung ausreichend gewürdigt wird, sondern dass uns vielmehr ziemlich Unrecht getan wird. Im dritten Jahr hintereinander stehen wir nun im Halbfinale, einmal gar im Finale – das hat seit den Siebzigern, seit wir dreimal in Folge den Europapokal gewonnen haben, keine große Mannschaft mehr geschafft. Wenn man überlegt, wie die anderen deutschen Mannschaften in den letzten Jahren mitgespielt haben, dann sieht man erst, wie stark wir den internationalen Fußball in Deutschland vertreten haben.“ Dumm nur, dass im Europapokal seit einem Vierteljahrhundert immer nur die anderen gewinnen.

Es ist Hoeneß’ alte Klage, sein ceterum censeo: Der FC Bayern ist so toll, tut so viel für den deutschen Fußball, und keiner sagt mal: Du, danke, FC Bayern. Eine „sagenhafte Leistung von Trainer und Mannschaft“, lobte Hoeneß, auch Trainer Hitzfeld gab sich für seine Verhältnisse beinahe enthusiastisch: „Das waren 90 Minuten hohe Intensität, eine Abwehrschlacht, auch im mentalen Bereich.“

Spannend war das „Spiel der Spiele“ ja zweifellos, aber eher gut- denn hochklassig. Rudelführer Stefan Effenberg, der die Champions League zuvor zu seiner „persönlichen Weltmeisterschaft“ erklärt hatte, zeigte sich gewohnt selbstsicher: „Mir war nie Angst und Bange. Ich hatte nie das Gefühl, dass wir verlieren können.“ Kahn sprach von einem „unglaublichen Kampf“, es sei „phänomenal, was das Team für den deutschen Fußball geleistet hat“. Nun ja, in erster Linie haben die Bayern den Fans noch mindestens zwei Europapokal-Abende verschafft. Real Madrid also im Halbfinale, die nächste Revanche: Figo und Raúl statt Beckham und Scholes. Innerhalb von ein paar Wochen könnte der deutsche Meister ein Trauma nach dem anderen abarbeiten: das Manchester-Finale von ’99, das Madrid-Halbfinale 2000. „Die beste Mannschaft der Welt“, schwärmt Hoeneß, „zuerst auswärts: eine wunderbare Ausgangsposition.“ Wie gegen Manchester.