Atomlobby putscht

Die russische Duma stimmt dem Gesetz zur Einfuhr von Atommüll nach mehreren Versuchen überraschend zu

BERLIN taz ■ Schockiert und überrumpelt zeigten sich Vertreter von Russlands Umweltschutzorganisationen, nachdem die Vizepräsidentin des Parlamentes durch geschickte Abstimmungsregie in zweiter Lesung ein Gesetz durchgepeitscht hatte, das den Weg für den Import atomarer Abfälle aus aller Welt nach Russland frei macht.

Im Verlauf von drei Abstimmungen nacheinander steigerte sich die Anzahl der Befürworter am Mittwoch von 230 auf 267 Deputierte. Im Dezember hatte das Gesetz die Duma bereits mit einer noch größeren Mehrheit passiert.

Zwischen der ersten und der zweiten Lesung gelang es allerdings den Aktivisten von Greenpeace und der Organisation Ecodefense, die russische Öffentlichkeit zu mobilisieren und eine ganze Reihe von Abgeordneten umzustimmen. 90 Prozent der BürgerInnen sprachen sich in Umfragen gegen die Vorlage aus. Sie glaubten nicht dem Argument des Atomministeriums, die Russische Föderation sei geradezu das ideale Territorium für die Aufbereitung und Endlagerung verbrauchten Kernbrennstoffes und biete dafür höchste Sicherheit.

Der neue Atomminister Alexander Rumjanzew argumentiert, dass der Import von 20.000 Tonnen verbrauchten Kernsprengstoffes Russland im kommenden Jahrzehnt 20 Milliarden Dollar einbringen würde, die zur Entwicklung der russischen Atomindustrie dringend notwendig seien.

Gerade an der gemeinnützigen Verwendung dieser Mittel zweifeln aber Russlands Atomkraftgegner. Der Importplan wurde von Rumjanzews Vorgänger Jewgeni Adamow entwickelt, der letzten Monat seinen Sessel wegen Korruption räumen musste. Kein Wunder, dass während der Debatte ein Zusatz besonders heiß umstritten war, dem zufolge die Einfuhrkontrakte „zivilen“ Charakter tragen . Diese Wischiwaschiformulierung gestattet es theoretisch allen möglichen Behörden und Privatfirmen, mit dem strahlenden Müll zu handeln.

Das Gesetzgebungsverfahren wurde nun durchgezogen, ohne dass, wie vom Parlament früher gefordert, noch weitere Expertisen vorgelegt wurden. Insider schließen daraus, dass hohe Beamte im Kreml an seiner Verabschiedung interessiert sind.

Alexander Tschujew von der Partei „Einheit“, der gegen die Vorlage gestimmt hatte, versprach sich dann auch nur wenig von der nun noch ausstehenden dritten Lesung. „Nur ein Veto des Präsidenten kann hier noch helfen“, sagte er. Tschujews Worte in Gottes Ohr! Gerade der Zusatz, der die Kontrakte als „zivil“ charakterisiert, stammt aus Putins persönlicher Feder.

BARBARA KERNECK