Die Puzzlespielerin

Margareth Obexer kommt aus Südtirol. Deutsch ist nicht ihre Muttersprache, Deutschland nicht ihr Heimatland – aber in Berlin fühlt die Schriftstellerin sich so richtig, wie man sich nur richtig fühlen kann. Das Theaterdock zeigt jetzt ihr Stück „gelbsucht“

von PETRA WELZEL

Margareth Obexer hat sich ihre Freiheit mit Fensterputzen verdient. Damals, 1986, als sie mit 16 Jahren und einer Freundin aus der Enge ihres Südtiroler Dorfes in die Stadt, nach Bozen, geflüchtet ist. Nicht wegen der Eltern. Wegen der Wortkargheit. „Zwischen den Worten klafften immer große Lücken des Schweigens. Es herrschte so eine Maulfaulheit“, sagt sie heute. Doch das änderte sich schon beim Fensterputzen. Margareth Obexer und ihre Freundin wurden von Nonnen in einem Höhere-Söhne-Internat des Franziskanerordens als Hausmädchen angestellt. Sie bekamen eine eigene Wohnung und mussten dafür ein Fenster pro Tag reinigen. Da blieb immer Zeit für eine Zigarette und ein Gespräch mit den Jungs. Und abends für einen Besuch im Theater. Viele Worte an einem Tag. Und eine neue Sprache, die „Hochsprache“, wie Margareth Obexer sie nennt. Die Tage waren prägend. Die Freundin wurde Schauspielerin, sie Theater- und Hörspielautorin.

15 Jahre ist das her. Seit sieben Jahren lebt und arbeitet Margareth Obexer in Berlin. Das Fenster in der Küche ihrer Wohngemeinschaft hat zuletzt der Regen abgespült. In der Fensterbank stapelt sich die Süddeutsche Zeitung der letzten zwei Wochen. Ein Rosmarinstrauch fristet im Schatten des Fensterkreuzes sein karges Dasein. Es ist ein trüber, kalter Vormittag. Von Frühlingserwachen keine Spur. Margareth Obexer ist noch ein wenig verschlafen.

Nein, sprachlos ist sie nicht. Aber ihre Antworten kommen langsam und überlegt, während sie mit angezogenen Beinen an die Wand gelehnt auf einem der Küchenstühle zwischen Tisch und Kühlschrank sitzt und nachdenklich mit den Fingern durch ihren kurzen, blond gefärbten Haarschopf streicht. An einem Stück für das Stadttheater Bozen arbeitet sie gerade. „Die Störung“. Es handelt von einer Frau in einer Kleinstadt, in der sie für die Rolle der Verrückten vorgesehen ist, die von der Frau schließlich auch willig angenommen wird.

Wahrscheinlich reden dabei wieder die meisten völlig aneinander vorbei. Das tun die Figuren in Margareth Obexers Theater- und Hörspielen gerne und oft. Zum Beispiel in dem zweifach ausgezeichneten Hörspiel „Die Liebenden“, in dem eine reife Frau und ein junges Mädchen sich wunderschöne Dinge sagen und einander doch nicht verstehen. Selbst wenn sie mal nicht über den Anrufbeantworter kommunizieren, reden sie kaum anders miteinander als mit Maschinen, die man bespricht. Oder in dem Theaterstück „gelbsucht“, dass dieser Tage in Berlin uraufgeführt wird. Eine junge Frau zwischen zwei jungen Männern, die es in erschreckender Konsequenz schaffen, nur aneinander vorbeizureden. Man meint zu verstehen, warum eine Freundin, über die nur gesprochen wird, von der Nadel zur Fixergelbsucht zum Tod kam.

Margareth Obexer lässt ihre Beine vom Stuhl gleiten, schlägt sie übereinander, stützt sich mit dem rechten Arm auf dem Küchentisch ab, senkt den Blick und versucht mit der rechten Hand Puzzleteile, vielleicht aus einem Ü-Ei, auf der blauen Tischdecke zusammenzufügen. Dann sagt sie: „Wenn ich merke, dass mich die Sprache befangen macht, flüchte ich in den Dialog, In ihm lassen sich Widersprüche besser verdeutlichen. Das Aneinandervorbeireden.“ Dass die Menschen nicht wirklich so miteinander reden wie in ihren Stücken, ist ihr bewusst, aber so gewollt. „Ich habe von vornherein in die Hochsprache einen Abstraktionsgrad hineingelegt, weil es die Sprache ist, die ich lernen musste. Als ich ,gelbsucht‘ geschrieben habe, wusste ich eigentlich gar nicht, wie sich die Leute so unterhalten.“

Sie schreibt in Deutsch, sie spricht Deutsch, mit einem charmanten, fast Wienerischen Akzent, aber es ist nicht ihre Muttersprache. Die wird in ihrer Südtiroler Heimat gesprochen, ein ausgeprägter Dialekt mit den typischen Merkmalen eines Dialekts: Die Mimik, die Gestik, die Vermittlung außerhalb des Wörtlichen ist wichtig. Wenn Margareth Obexer ihre Texte und Sprache literarisch einordnen müsste, würde sie wohl den Begriff des „Bastardismus“ wählen. Jedenfalls erwähnte sie ihn einige Tage zuvor in der Società Dante Aligheri auf einer Lesung mit zwei anderen Südtiroler Autoren. Extra für diesen Abend hatte sie einen Essay geschrieben, „Das Herz eines Bastards“. Es wurde ein Zwiegespräch mit den Anwesenden, die ihr nicht reinreden konnten. Fast ganz in Schwarz, erhob sie sich aus ihrem blauen Cocktailsessel, fixierte das Publikum mit ihren schmalen Augen und begann: „Es war mir nicht in die Wiege gelegt, als Bastard zu leben . . . Ich bin ein autodidaktischer Bastard . . . , habe, wie Sie sehen, ein blondes Fell.“ Und: „Die Erfahrungen des Bastards bestimmen die Literatur, den Bastardismus.“

Deutsch ist nicht ihre Muttersprache und Deutschland nicht Margareth Obexers Heimatland. Nach einem kurzen Aufenthalt in London, der bei McDonald’s an der Kasse endete, und zwei Jahren Studium in Wien stellte sie das als Welpe unter deutschen Wölfen fest. Als sie über Frolic nichts zu sagen wusste, Chappi nicht richtig aussprechen konnte und Lassie nicht kannte. Doch jetzt möchte sie nicht mehr höflich schweigen: „Wenn bestimmte Debatten in Deutschland geführt werden, dann fühle ich mich als Ausländerin und fühle mich von denen, die sie führen, angepisst.“ Das Puzzle auf dem Tisch ist zusammengesetzt. Und Margareth Obexer ist jetzt hellwach, steht auf, gießt sich den restlichen Kaffee in ihre gelbe Schale, vergisst sie dann aber auf dem Kühlschrank.

Stolz! Nationalstolz! Dazu hätte sie einiges zu sagen, aus dem Herzen eines Bastards. An der Fensterscheibe versucht sich ein Hagelschauer. „Berlin ist der Ort, der mir in vielerlei Hinsicht entgegenkommt. Wenn es mal warm ist und ich am Landwehrkanal entlangfahre, dann fühle ich mich so richtig, wie man sich nur irgendwo richtig fühlen kann.“

„gelbsucht“, heute und morgen, 3.-6.5., jeweils 20 Uhr, Theaterdock, Lehrter Str. 35, Tiergarten