ZENTRUM FÜR TÜRKEISTUDIEN WILL KINDERGELD ZWECKENTFREMDEN
: Das Mutterland zuerst

Die Türkei steckt tief in der Krise. Nun hat das Essener Zentrum für Türkeistudien, eine renommierte Institution, Ankara einen Vorschlag unterbreitet. Würden die in Deutschland lebenden Türken das Kindergeld für das erste Kind (270 Mark) in der Heimat anlegen, kämen in zehn Jahren rund zehn Milliarden Mark dem Lande zu Gute. Was hat das Institut geritten, eine solche Idee zu Papier zu bringen? Patriotische Gefühle? Ganz gewiss und nicht zu wenig. Das Mutterland zuerst, dein Kind danach – das ist die fatale Botschaft, die vom Leiter des Instituts, Faruk Sen, unter die hier lebenden Türken gestreut wird. Und das zu einem Zeitpunkt, da eine erfahrene Ausländerbeauftragte wie Barbara John aus Berlin die Haltung der Türken zur Bildung beklagte. Auch die zweite und dritte Generation, so kürzlich ihr Fazit, investiere lieber in die Heimat statt in die Zukunft ihrer Kinder.

Natürlich steht es jeder Familie zu – sei sie türkisch oder deutsch –, über die Verwendung des Kindergelds zu entscheiden. Der Staat hat die Mittel, dem Namen nach, zwar an einen bestimmten Zweck gebunden. Wohin sie dann aber tatsächlich fließen – ob in die Bekleidung der Kleinen oder auf das Sparkonto –, kann und will er nicht überprüfen. Das ist sein Vertrauensvorschuss, der gesellschaftliche Vertrag, den auch die Steuer zahlenden Kinderlosen in der Hoffnung mittragen, das Geld würde ausgegeben, wofür es bereitgestellt wird. Man stelle sich nur vor, Faruk Sens Idee würde Schule machen. Vielleicht rieten irgendwann die Wirtschaftsinstitute den Familien, das Kindergeld doch bitte schön an der Börse anzulegen.

Es führt keine Erkenntnis daran vorbei: Faruk Sen hat sich vergaloppiert. Hätte sein Institut vorgeschlagen, die Türken in Deutschland sollten einen Teil ihres selbst erwirtschafteten Einkommens in türkische Staatsanleihen investieren – was wäre dagegen einzuwenden? Auch Deutsche legen ihr Vermögen im Ausland an, und manche sparen ihr ganzes Erwerbsleben, um mit dem Eintritt ins Rentenalter schleunigst ihren Beitrag zur Germanisierung spanischer Dörfer zu leisten. Nein, das Traurige am Vorschlag von Faruk Sen ist, dass mit dem Verweis auf die Kinder genau jene Ideologen bedient werden, die schon immer Kinder für würdige Opferlämmer des Vaterlandes hielten. In der Krise der Türkei scheint der Nationalismus manche Geister umnebelt zu haben. Es ist, als wollte das Zentrum für Türkeistudien den Beweis für das Vorurteil antreten, das viele hier zu Lande hegen und pflegen: Türken wollen sich in Wirklichkeit gar nicht in Deutschland einrichten. Für manche gilt das sicherlich. Für die Mehrheit aber nicht. Ihnen hat Faruk Sen mit seinem Papier wahrlich keinen Dienst erwiesen. SEVERIN WEILAND