Alte, frische Winde

Wo demnächst die Zukunft einzieht: Wie die Freie Volksbühne als neues Haus der Berliner Festspiele vorgestellt wurde

Also: Glamour haben wir uns anders vorgestellt. Ein „rauschendes Fest“ war zur Eröffnung der ehemaligen Freien Volksbühne als neuem Haus der Berliner Festspiele versprochen, und schon die Einladung hatte durch ein hochkomplexes Rück- und Rückrückmeldeverfahren nicht nur das eigene V.I.P.-Gefühl gestärkt, sondern auf viel Prominenz und Publikum hoffen lassen. Und dann war da vor allem: Kälte. In der Schaperstraße waren etwa vier Grad Celsius, die mit Blick auf eine kleine, draußen vor dem Sechzigerjahrebau aufgebaute Bühne umgehend zu gefühlten minus acht wurden. Um gleich darauf, als Heiner Müllers „Herzstück“ in einer Straßentheater-Pantomimen-Commedia-dell’Arte-Crossover-Version aufgeführt wurde, auf minus zwanzig zu fallen. Hallo? Hier wollte doch die Zukunft einziehen?!

Noch sieht das Haus der Zukunft schwer nach Vergangenheit aus. Allen Beteuerungen zum Trotz, dass die Berliner Festspiele unter der neuen Direktion von Joachim Sartorius und mit dem Umzug in die Freie Volksbühne endlich eine gesamtdeutsche Angelegenheit würden, war am Samstag allein die alte Westberliner Kulturschickeria versammelt. Heiner Müllers Definition vom Theater als Arbeit an der Auferstehung der Toten erfuhr da eine ganz neue Deutung.

Außer dem Dutzend unter 40-Jährigen unter den 800 Gästen schien das aber niemandem aufzufallen: Staatsminister Julian Nida-Rümelin freute sich stellvertretend blind über „die breite Mischung, die sich heute Abend abzeichnet“. Seine Hoffnung, dass genau diese „auch in Zukunft den Geist des Hauses prägen wird“, klang wie eine Drohung. Glücklicherweise gibt es berechtigte Hoffnung anzunehmen, dass sie sich nicht erfüllt.

Am Vortag hatte Sartorius die neuen Leiter der Bereiche Theater/Tanz (Markus Luchsinger), Musik (André Hebbelinck) und Neue Musik/Medien (Matthias Osterwold) vorgestellt. Alle drei kommen aus künstlerischen Zusammenhängen, die eine Öffnung des Berliner Programms wahrscheinlich machen. Der Schweizer Luchsinger begann als Theatermacher bei Freien Gruppen bevor er Kunst und Video an der Uni Zürich lehrte und 1990 Leiter des Zürcher Theaterspektakels wurde. Der Belgier André Hebbelinck, studierter Informatiker, arbeitete beim Brüsseler Computermusik-Festival Plan K, gestaltete das Programm des Beursschouwburg Teater und unterstützte die letzten Jahre das Ensemble Modern. Osterwold, Mitbegründer der Berliner Gesellschaft für Neue Musik, verbrachte die letzten Jahre als Kurator am ZKM in Karlsruhe. Ohne Namen zu nennen, war ein Wille zur zeitgenössischen Vernetzung und Kontextualisierung von Kunst klar erkennbar. Anders als bei Jürgen Flimm, der das Festpublikum am Samstag mit Schiller verabschiedete: „Ernst ist das Leben, heiter die Kunst.“ Himmel! CHRISTIANE KÜHL