: Das Mobiliar zum Charakter
Die Mittelstandsfamilie Wagner hat sich eingerichtet: häuslich und im Leben. Doch plötzlich stürzt ihr Eigenheim ein, und das Glück bröckelt. Der Gatte wird zum Schläger. („Nicht ohne dich“, 20.15, ZDF)
von CHRISTIAN BUSS
Es beginnt mit einem Riss in der Wand. Der zieht sich durch die Küche der Wagners und kündet unheilvoll von den Erschütterungen, denen die junge Familie bald ausgesetzt sein wird. Vater Kai (Heikko Deutschmann) wollte seinen Lieben eine Freude machen und hat ihnen ein prächtiges Eigenheim geschenkt. Ein Schnäppchen, das ihm als Immobilienmakler quasi vor die Füße gefallen ist. Mit einem Wohnzimmer, in dem sich ein Ballett aufführen ließe, und einem Swimmingpool im Keller.
Doch der Familienvater hat vergessen, die Bausubstanz zu prüfen. Das Fundament weicht auf, das Glück sackt in sich zusammen. Irgendwann, ohne Vorwarnung, schlägt Kai seiner Frau Sophie (Naomi Krauss) ins Gesicht. Später, als er erfährt, dass diese wegen der schlechten Finanzlage wieder heimlich arbeitet, fällt er erneut über sie her.
Der Traum des Mittelstands – hier verkehrt er sich in einen Albdruck. Doch so krass sich die Geschichte um den überforderten Emporkömmling auch zuspitzt, „Nicht ohne dich“ ist weder eine bitterböse Farce über den Häuslebauerwahn noch ein Psychoschocker über die Abgründe der deutschen Spießerseele. Dafür werden die Figuren zu ernst genommen von Regisseur Diethard Klante, der zwar als Veteran des Besinnungsfernsehens gilt, in guten Momenten aber auch zu subtilen Charakterzeichnungen fähig ist.
Noch in den abscheulichsten Momenten begegnet er den traurigen Mittelständlern mit Verständnis. Was riskant ist, immerhin steht ein prügelnder Gatte im Zentrum des Geschehens. Doch auch wenn sich dessen psychosoziale Konditionierung im Laufe des Dramas erschließt – geschenkt wird ihm nichts. Es gibt keinen billigen Sündenerlass. Bevor er eine zweite Chance erhält, muss er sich konsequent von seinem verkorksten Leben verabschieden.
Für die komplexe Studie über gesellschaftliche Zuschreibungen und selbst auferlegte Zwänge werden denkbar schlichte Versinnbildlichungen gefunden; der Einfluss des Melodramenkönigs Douglas Sirk ist in dem Ausstattungsfilm deutlich zu spüren. Eine Produktion wie „Nicht ohne dich“ ist selten im deutschen Fernsehen: Zielen andere TV-Filme dekortechnisch auf Zielgruppen und Werbekunden, erhebt dieses Ehedrama die Ausstattung zum eigenständigen erzählerischen Element. Das Motiv des Bauens und Einrichtens wird zu einer umfassenden Analogie, mit der die Helden erklärt werden. Denn deren Innenleben sieht so aus wie die Räume, in denen sie leben.
Nicht von ungefähr ist die misshandelte Sophie Inneneinrichterin. Doch den Beruf hat sie für die Familie aufgegeben – und somit auch die gestalterische Autonomie. Nachdem sie sich von ihrem Mann getrennt hat, wird sie von einem Verehrer (Heinz Hoenig als tappsiger Bär) gebeten, ihm seine Wohnung einzurichten. Da stehen die beiden nun in einem Luxusapartment, das mit seiner opulenten Fensterfront und dem kargen Mobiliar so unbehaust wirkt wie die Herzen der zwei Singles. Später zieht Sophie mit den Kindern zu ihrer Mutter (Nicole Heesters), einer kühlen hanseatischen Senatorenwitwe, in deren Villa die Ahnenbilder in Reih und Glied hängen. In diesem akkuraten Wohlstand fällt das Atmen schwer. Da ist es nur folgerichtig, dass die Handlung zum Schluss ins Freie strebt: Die Kamera darf durch die Luft düsen, während sich Sophie und Kai an der Nordsee in die Arme fallen. Arm, aber glücklich. Dieser milde Optimismus sei nach so viel Selbstzerfleischung gestattet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen